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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Augenblick schwankt er. Dann legt er vorsichtig die Hände auf die Klinke und drückt die Tür ein. Es kommt kein Splittern von Holz, nur ein Schrammen, als die Sperrklinke den Stahlrahmen eindrückt. Der Raum ist sehr klein, sehr vollgestopft. Ein kleiner VHP, ein doppelter Langwellensender von der Größe eines Kühlschranks, ein Kasten, wie ich ihn noch nie gesehen habe, mit einem fest montierten Morseschlüssel. Ein Tisch, Stühle, ein Fernschreiber, ein Telefax, eine Kaffeemaschine, Zucker und Plastikbecher. An der Wand eine Uhr, auf deren Glas Papierdreiecke in verschiedenen Farben aufgeklebt sind, ein Mobiltelefon, ein Kalender, Gerätezertifikate in schmalen Stahlrahmen, eine Lizenzkarte, die Sonne als Funker ausweist. Auf dem Schreibtisch ein festgeschraubtes Tonbandgerät, Handbücher, ein aufgeschlagenes Funklogbuch.
    Ich schreibe die Nummer auf ein Stück Papier.
    »Das ist Ravn«, sage ich.
    Er bleibt stehen. Ich nehme ihn am Arm und denke, daß es das letztemal in meinem Leben ist, daß ich ihn anfasse.
    Er setzt sich auf den Bürostuhl und verwandelt sich in einen anderen Menschen. Wie in seiner Küche werden seine Bewegungen schnell, genau und beschützend. Er klopft an das Zifferblatt der Uhr.
    »Die Dreiecke bezeichnen die international festgesetzten Zeiten, in denen die Kanäle frei und für Notsignale offen sein müssen. Wenn wir diese Zeiten überschreiten, schaltet sich die Alarmanlage ein. Für die Hochfrequenz ist das von halb bis drei Minuten nach halb und von voll bis drei Minuten nach. Wir haben zehn Minuten.«
    Er gibt mir einen Telefonhörer und nimmt selbst den Kopfhörer. Ich setze mich neben ihn.
    »Es ist hoffnungslos, in diesem Wetter und mit dem Abstand zur Küste«, sagt er.
    Anfangs kann ich noch verstehen, was er tut, obwohl ich es nicht selbst hätte tun können.
    Er stellt die maximale Ausgangsleistung von zweihundert Watt ein. Damit riskiert der Sender, sein eigenes Signal zu übertönen, doch das trübe Wetter und der Abstand zur Küste machen es notwendig. Zuerst das Knistern des leeren Raums, dann geht die Stimme durch.
    »This is Sisimiut. What can we do for you?«
    Er entscheidet sich, auf Trägerwelle zu senden. Der Sender hat eine analoge Anzeige und automatische Einstellung. Jetzt wird er sich die ganze Zeit über auf der Trägerwelle justieren, während das Gespräch über ein Seitenband gesendet wird. Die genaueste Art und Weise, und in einer Nacht wie dieser vielleicht die einzige.
    Unmittelbar bevor ihm die Einstellung gelingt, fängt der Empfänger einen kanadischen Sender ein, der über das Kurzwellennetz klassische Musik sendet. Einen kurzen Moment lang sehe ich vor lauter Kindheitserinnerungen den Raum um mich herum nicht mehr. Victor Halkenhvad singt die ›Gurrelieder‹. Dann ist Sisimiut wieder da.
    Der Mechaniker bittet nicht um Radio Lyngby, er bittet um Reykjavik. Als die Station durchkommt, bittet er um Thorshavn.
    »Was machst du da?« frage ich.
    Er hält das Mikrophon zu.
    »Alle größeren Stationen haben einen automatischen Richtungspeiler, der sich einschaltet, wenn sie einen Anruf empfangen. Die Gesprächsgebühren werden unter dem Schiffsnamen, den man angibt, aufgeführt. Sie sichern sich gegen einen falschen Namen ab, indem sie die Schiffsposition anpeilen. Damit kann man ein Gespräch immer auf einen Koordinatensatz zurückführen. Ich l-lege einen Schleier aus. Jede neue Station macht es schwerer, den Anruf zu orten. Im vierten Glied ist es unmöglich.«
    Er bekommt Radio Lyngby, erzählt, er rufe von der Candy 2 an und gibt Ravns Nummer an. Er sieht mir in die Augen. Wir wissen beide, daß er, wenn ich ein anderes Vorgehen, einen direkten Anruf verlangen würde, der es Ravn möglich machen würde, die Position der Kronos zu orten, sofort abbrechen würde. Ich sage nichts. Ich habe ihn sowieso schon sehr weit getrieben. Und noch sind wir nicht fertig.
    Er verlangt eine Security-line, eine Leitung ohne Mithöranlage. Weit weg, in einem anderen Teil des Weltalls, klingelt ein Telefon. Das Signal ist schwach und flatterig.
    »Wie sieht es draußen aus, Smilla?«
    Ich versuche mich an die Nacht und das Wetter zu erinnern.
    »Eiskristallwolken.«
    »Das ist das Schlimmste. Die HF-Strahlen krümmen sich mit der Atmosphäre. Bei Schnee und trübem Wetter können sie sich in einem Reflexionsraum fangen.«
    Das Telefon klingelt, monoton, leblos. Ich gebe auf. Die Hoffnungslosigkeit ist eine Fühllosigkeit, die vom Magen ausstrahlt.
    Dann wird

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