Peter Hoeg
einer Art Radioaktivität. Aber es gibt auch noch eine andere Möglichkeit.«
»Welche?«
Ich sehe es ihm an. Daß das auch für ihn keine neuen Gedanken sind. Auch er hat gewußt, daß irgend etwas nicht stimmt. Aber er hat das Problem beiseite geschoben. Er ist Däne. Jederzeit lieber das bequeme Verschweigen statt der belastenden Wahrheit.
»Der vordere Tank der Kronos, ist umgebaut worden. Man kann ihn sterilisieren. Er ist mit einer Sauerstoffzufuhr und Druckluft ausgestattet worden. Man hat ihn gebaut, als sollte ein großes Tier transportiert werden. Mir ist der Gedanke gekommen, Tørk könnte vielleicht meinen, daß der Stein, den ihr holen sollt, lebendig ist.«
Es ist nichts mehr in der Flasche.
»Das war gut gemacht, das mit dem Feueralarm«, sage ich.
Er lächelt müde.
»Es war die einzige Möglichkeit, die Papiere zurückzubringen und z-zugleich zu erklären, warum sie naß waren.«
Jeder sitzt an seinem Ende der Koje. Die Kronos fährt immer langsamer. In meinem Körper tobt eine obskure und wollüstige Schlacht zwischen zwei Arten von Vergiftung. Zwischen der glasklaren Unwirklichkeit des Amphetamins und dem zerfließenden Wohlbehagen des Alkohols.
»Als Juliane dir erzählt hat, daß Loyen Jesaja regelmäßig untersuchte, habe ich zum erstenmal daran gedacht, daß es sich um irgendeine Krankheit handeln muß. Sicher war ich aber erst, als ich die Röntgenbilder gesehen habe. Von der Expedition 1966. Beschafft von Lagermann, aus dem Königin-Ingrid-Krankenhaus in Nuuk. Sie waren nicht durch die Explosion gestorben. Sie waren von irgendeinem Parasiten angegriffen worden. Vielleicht von einer Art Wurm. Aber größer als irgendeiner, den man kennt. Und schneller. Sie sind innerhalb weniger Tage gestorben. Vielleicht im Laufe von ein paar Stunden. Loyen wollte wissen, ob Jesaja infiziert war.«
Er schüttelt den Kopf. Er will es nicht glauben. Er ist ja auf Schatzsuche. Auf dem Weg zu Diamanten. »Loyen ist von Anfang an nur deshalb dabeigewesen. Er ist Wissenschaftler. Geld ist sekundär. Für ihn ging es immer um den Nobelpreis. Seit damals, als er den Parasiten in den vierziger Jahren entdeckt hat, hat er eine wissenschaftliche Sensation vorausgesehen.«
»Warum haben sie mir das dann nicht erzählt?«
Wir leben alle ein Leben in blindem Zutrauen zu denen, die die Entscheidungen treffen. Wir vertrauen der Wissenschaft. Weil die Welt unüberschaubar, alle Information unsichtbar ist. Wir akzeptieren die Existenz eines runden Erdballs, wir akzeptieren die Existenz von Atomkernen, die wie Tropfen zusammengehalten werden, von einem sich krümmenden Raum, von der Notwendigkeit des Eingriffs in das genetische Material. Nicht weil wir wissen, daß das richtig ist, sondern weil wir denen, die es uns erzählt haben, glauben. Wir sind allesamt Proselyten der Wissenschaft. Doch im Gegensatz zu den Anhängern anderer Religionen läßt sich der Abstand zwischen uns und den Priestern nicht mehr überbrücken. Die Schwierigkeiten entstehen, wenn man über eine offensichtliche Lüge stolpert. Und es dabei um das eigene Leben geht. Die Panik des Mechanikers ist die eines Kindes, das seine Eltern zum erstenmal bei einer Unwahrheit ertappt, von der es eigentlich immer gewußt hat, daß sie existiert.
»Jesajas Vater hat getaucht«, sage ich. »Das haben die anderen vermutlich auch getan. Die meisten Parasiten durchlaufen ein Stadium im Wasser. Du sollst tauchen. Und du sollst andere zum Tauchen bringen. Du bist der letzte, der etwas erfahren darf.«
Seine Aufgewühltheit bringt ihn auf die Beine.
»Du mußt mir helfen zu telefonieren«, sage ich.
Als wir aufstehen, schließt sich meine Hand in der Schublade um ein Stück in einen Putzlappen gewickeltes Metall und um eine flache runde Dose.
Der Funkraum liegt hinter der Brücke, gegenüber der Offiziersmesse. Wir gelangen dorthin, ohne gesehen zu werden. Vor der Tür zögere ich. Er schüttelt den Kopf.
Der Raum ist leer. Die IMO, die internationale Seeschiffahrtsorganisation, schreibt vor, daß er zweimal pro Stunde bemannt sein muß, doch wir haben keinen Funkgast an Bord. Statt dessen lassen sie das Hochfrequenzgerät auf 2182 Kilohertz stehen, der internationalen Notfrequenz, und schließen es an eine Alarmanlage an, die sich einschaltet, wenn Notrufe kommen.
Jakkelsens Schlüssel paßt nicht. Ich bin kurz davor, loszuschreien.
»Ich muß rein«, sage ich.
Er zuckt die Achseln.
»Das schuldest du uns beiden«, sage ich.
Einen letzten
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