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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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gesehen. Jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ich habe das Gefühl, daß er mich verraten hat. Nicht so zugehört hat, wie er es hätte tun sollen. Daß er mich im Stich gelassen hat. Andererseits tut er ja nichts. Er behelligt mich nicht. Er steht vor den dampfenden Töpfen und schaut mich nur an.
    Mir fällt keine Antwort ein. Ich stehe bloß da und habe keine Ahnung, was ich mit mir anfangen soll, der Augenblick ist da, und dann ist er glücklicherweise vorbei.
     
    »F-frohe Weihnachten.«
    Wir haben gegessen, ohne ein Wort zu wechseln. Zum einen natürlich, weil das Ungesagte von vorhin immer noch im Raum ist. Vor allem aber, weil die Suppe das erfordert. Über die Suppe kann man nicht hinwegreden. Sie meldet sich aus dem Teller und will ungeteilte Aufmerksamkeit.
    So war es auch mit Jesaja. Wenn ich ihm vorlas oder wir uns ›Peter und der Wolf‹ anhörten, passierte es schon mal, daß meine Aufmerksamkeit von etwas anderem gefesselt wurde, daß meine Gedanken mit mir durchgingen. Nach einer Weile räusperte er sich. Ein freundliches, ein belehrendes, ein vielsagendes Räuspern. Es hieß soviel wie: Smilla – du döst dich weg von mir.
    Genauso ist es mit der Suppe. Ich esse sie von einem Suppenteller. Der Mechaniker trinkt sie aus einer großen Tasse. Sie schmeckt nach Fisch. Nach den Tiefen des Atlantiks, nach Eisbergen und nach Tang. Der Reis erinnert an die Tropen, an gefaltete Bananenpalmenblätter. An Burmas schwimmende Gewürzmärkte. Um mal der Phantasie freien Lauf zu lassen.
    Wir trinken Mineralwasser. Er weiß, daß ich keinen Alkohol anrühre. Er hat nicht gefragt, wieso nicht. Er hat mich überhaupt nie richtig etwas gefragt. Abgesehen von dem einen, gerade eben.
    Er legt den Löffel hin.
    »Das Schiff«, sagt er. »Das Modellschiff im Zimmer vom Baron. Es sah teuer aus.«
    Er legt mir ein Faltblatt vor.
    »Die K-Kiste, die er in seinem Zimmer hatte. In der er sich die Höhle gebaut hatte, das war die Verpackung vom Schiff. Dort habe ich das da gefunden.«
    Warum habe ich das nicht selber gesehen?
    Auf der Titelseite steht: (Arktisches Museum. Motorschiff Johannes Thomsen der Kryolithgesellschaft Dänemark. Maßstab 1:5O‹.
    »Was ist das »Arktische Museum‹?« frage ich.
    Er weiß es nicht.
    »Aber auf der Kiste war eine Adresse.«
    Er hat etwas in der Hinterhand. Er hat die Adresse mit einem Messer aus dem Pappkarton ausgeschnitten. Sicher um Schreibfehler zu vermeiden. Jetzt legt er sie vor mich hin.
    ›Anwaltsbüro Hammer und Ving‹. Und eine Adresse in der Østergade, ganz hinten am Kongens Nytorv.
    »Das war der, der den Baron mit dem Auto abgeholt hat.«
    »Was sagt Juliane?«
    »Sie hat solche Angst, daß sie zittert.«
     
    Er macht Kaffee. Mit zwei Sorten Bohnen, mit Mühle, Trichter und Maschine und derselben nichts überstürzenden Sorgfalt. Wir trinken ihn schweigend. Es ist Heiligabend. Für mich ist die Stille normalerweise ein Bundesgenosse. Heute verursacht sie mir leichten Druck auf den Ohren.
    »Habt ihr einen Weihnachtsbaum gehabt, als du ein Kind; warst?« frage ich.
    Eine Frage mit einer zuverlässigen Oberfläche. Aber gestellt, um zu erfahren, wer er ist.
    »Jedes Jahr. Bis ich f-fünfzehn war. Dann ist die Katze reingesprungen. Und die hat Feuer gefangen.«
    »Was hast du da gemacht? «
    Erst als ich bereits gefragt habe, merke ich, daß ich wie selbstverständlich davon ausgegangen bin, daß er etwas getan hat.
    »Mein Hemd ausgezogen und es der Katze umgelegt. Das hat das Feuer erstickt.«
    Ich stelle ihn mir ohne Hemd vor. Im Schein der Lampen. Im Schein der Weihnachtskerzen. Im Schein der brennenden Katze. Ich lege den Gedanken beiseite. Er kommt wieder. An einigen Gedanken klebt Leim.
    »Gute Nacht«, sage ich und stehe auf.
    Er bringt mich an die Tür.
    »Heute nacht werde ich g-garantiert träumen.«
    Die Bemerkung hat etwas Schlitzohriges. Ich sehe ihm forschend ins Gesicht, um herauszufinden, ob er sich über mich lustig macht, doch es ist ernst.
    »Vielen Dank für alles«, sage ich.
    Daß man in seinem Leben mal wieder aufräumen müßte, zeigt sich symptomatisch daran, daß man irgendwann überwiegend nur noch von Dingen umgeben ist, die man sich vor langer Zeit einmal ausgeliehen hat und jetzt nicht mehr zurückgeben kann, weil man sich lieber eine Glatze scheren lassen würde, als dem Buhmann unter die Augen zu treten, dem die Sachen rechtmäßig gehören.
    Auf meinem Kassettenrecorder steht ›Geodätisches Institut‹ eingraviert. Er hat

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