Peter Hoeg
versengt. Dann trieft sie nur so vor Nikotin.«
Ich hänge meine gelbe Thermojacke über einen der weißen Eisenstühle. Dann nehme ich das Kopftuch ab. Darunter habe ich ein Stück Gaze. Ich entferne es ebenfalls. Der Mechaniker hat die Wunde gesäubert und mit Chlorhexidinsalbe eingeschmiert. Ich beuge den Kopf, so daß er sie sehen kann.
Als ich den Kopf wieder anhebe, sind seine Augen hart.
»Eine Verbrennung«, sagt er nachdenklich. »Waren Sie in der Nähe?«
»Ich war an Bord.«
Er wäscht seine Hände in einem tiefen Stahlwaschbecken.
»Und wie haben Sie es angestellt zu überleben?«
»Ich bin geschwommen.«
Er trocknet die Hände und kommt zurück. Er befühlt die Wunde. Es fühlt sich an, als ob er mir die Hände ins Hirn steckt.
»Das ist oberflächlich«, sagt er. »Sie kriegen wohl kaum eine Glatze.«
Ich habe ihn noch am selben Tag im Reichskrankenhaus angerufen. Ich stelle mich nicht vor, doch das ist auch nicht notwendig.
»Das Schiff, das im Hafen verbrannt ist«, sage ich, »da war ein Mann an Bord.«
Im Radio haben sie es als wichtigste Nachricht gebracht. Die Zeitungen hatten es auf der ersten Seite. Das Bild ist in der Nacht gemacht worden, im Licht der Feuerwehrscheinwerfer. Mitten im Hafen ragen drei verkohlte Masten aus dem Wasser. Tauwerk und Querbalken sind weg. Über Tote oder Verletzte jedoch kein Wort.
Er wird sehr langsam, schleppend. »Wirklich?«
»Ich muß das Resultat der Obduktion haben.« Er schweigt lange.
»Himmel und Hölle«, sagt er. »Ich habe eine Familie zu versorgen.«
Dazu kann ich nichts sagen. »Heute nachmittag. Nach vier.«
Er setzt sich mir gegenüber und entfernt von einer Zigarre Zellophan und Bauchbinde. Er hat eine Schachtel mit besonders langen Streichhölzern. Mit einem bohrt er in den Kegel des runden, geschlossenen Tabakblatts ein Zugloch. Dann zündet er die Zigarre langsam und sorgfältig an. Als sie gleichmäßig glüht, fixiert er mich.
»Es sind nicht vielleicht zufällig Sie gewesen«, sagt er, »die ihn umgebracht hat?«
»Nein«, erwidere ich.
Beim Sprechen schaut er mich jetzt unverwandt an, als versuche er, mein Gewissen zu erkunden.
»Wenn ein Mensch ertrinkt, versucht er zunächst, den Atem anzuhalten. Wenn das nicht mehr geht, macht er ein paar sehr kräftige und verzweifelte Atemzüge. Dadurch wird Wasser in die Lunge gepumpt. Diese Bewegung bildet in der Nase und im Rachen weißliche Proteinstoffe, nach demselben Prinzip, wie wenn man Eiweiß schlägt. Das nennt man Schaumschwamm . Die Person – über die ich natürlich nicht sprechen sollte, und schon gar nicht mit jemandem, der möglicherweise an dem Verbrechen beteiligt gewesen ist –, diese Person hatte keine Spur davon. Er ist also jedenfalls nicht ertrunken.«
Vorsichtig streift er die Asche von der Zigarre.
»Er war bereits tot, als ich an Bord kam.«
Er hört mich kaum. Seine Gedanken hängen noch am Morgen fest, bei der Obduktion.
»Erst haben sie ihn gefesselt. Mit einem Stück Kupferdraht. Er hat sich verteufelt gewehrt, aber zuletzt haben sie ihn doch gebunden. Sie müssen zu zweit gewesen sein. Er war ein starker Mann. Ein älterer Herr, aber kräftig. Danach haben sie ihm den Kopf zur Seite gedrückt. Sie kennen Natriumhydroxid. Eine stark ätzende Base. Einer hat ihn an den Haaren gehalten. Es wurden ziemlich viele Büschel ausgerissen. Und dann haben sie in das rechte Ohr Natriumhydroxid getropft. Verdammt noch mal, ganz langsam und ruhig.«
Nachdenklich betrachtet er die Zigarre.
»Wer in meinem Fach arbeitet, bekommt es ab und zu auch mit Folter zu tun. Das ist ein kompliziertes Thema. Teuflisch. Um der juristischen Definition standzuhalten, muß sie im übrigen von einer Organisation praktiziert werden. Für den Folterknecht geht es darum, den schwachen Punkt des Opfers zu finden. Und dieser Mann hier, der war blind. Das habe nicht ich entdeckt, das haben wir erst gesehen, als wir seine Unterlagen bekamen. Aber sie haben es gewußt. Sie haben sich also auf sein Gehör konzentriert. Das ist verdammt erfinderisch, das muß man ihnen lassen. Das ist psychopathisch. Hat aber einen Stich ins Kreative. Man fragt sich dann nur immer wieder, worauf sie wohl ausgewesen sind.«
Ich denke an die Stimme des Kurators am Telefon, an das, was ich für ein ersticktes Lachen gehalten habe. Da war er bereits gebrochen.
»Er hatte Watte in den Ohren.«
»Das freut mich, die war weg, als sie ihn aufgefischt haben. Aber ich habe auf Watte getippt. Als ich
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