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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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nehmen. Ich brauche noch nicht einmal Zeit daran zu verschwenden, mich anzuziehen. Ich kann einfach rausgehen und die Treppe hochflitzen. In meiner Wohnung packe ich das Notwendigste, oder nicht einmal das, ich rufe einfach eine Umzugsfirma an, bestelle einen Wagen und lasse meine Möbel ins Magazin bringen, stecke das Kästchen mit dem Geld in die eine Tasche und Jesajas Band in die andere und ziehe ins Hotel, dann bin ich weg, wenn er aufwacht, und brauche ihm nie mehr in die Augen zu sehen.
    Er schlägt die Augen auf und sieht mich an. Er bleibt ganz still liegen und versucht zu verstehen, wo er ist. Dann lächelt er mich an.
    Ich merke, daß ich nackt bin. Ich kehre ihm den Rücken zu und gehe seitwärts zu meinen Sachen. Er hat sie mir zusammengelegt. So zusammengelegt sind sie nicht mehr gewesen, seit ich sie gekauft habe. Ich ziehe meine Unterwäsche an. Schamhaftigkeit ist ein Teil der Natur des Menschen. Ich finde die Vorstellung der Europäer zum Kotzen, sie könnten ihre eigenen, selbstverursachten Sexualneurosen lösen, indem sie das Fleisch auf den Tisch klatschen und unters Mikroskop legen.
    Ich gehe ins Wohnzimmer. Ich habe keine Ahnung, was ich mit mir anfangen soll.
    Er kommt einen Augenblick später. Er hat Boxershorts an. Sie sind weiß, reichen ihm bis an die Knie und sind so groß, als hätte man sie aus einem Bettbezug genäht. Er sieht aus wie ein halbangezogener Kricketspieler.
    Ich sehe es jetzt und erinnere mich, daß ich es auch gestern gesehen habe. Um Handgelenk und Knöchel hat er schmale, schwarze Striemen. Es sind Narben. Ich will ihn nichts fragen.
    Er kommt zu mir und küßt mich. Obwohl wir zu keinem Zeitpunkt blau gewesen sind, kann man durchaus sagen, daß dies unsere erste nüchterne Umarmung ist.
    Erst jetzt erinnere ich mich an den gestrigen Tag. Dafür aber so deutlich, als stünde der Feuerschein jetzt, eben jetzt, an den Wänden der Wohnung.
    Wir decken zusammen den Tisch. Er hat einen Entsafter. Er preßt Äpfel und Birnen in ein hohes Glas. Der Apfelsaft ist grün mit rötlichem Schimmer, der Birnensaft gelblich. Die ersten Minuten. Dann wechseln sie langsam Geschmack und Farbe.
    Wir essen fast nichts. Wir trinken ein bißchen Saft und sehen auf das Geschirr, die Butter, den Käse, den Toast, die Marmelade und die Rosinen und den Zucker.
    Im Hafen ist kein Verkehr, auf der Brücke sehr wenig. Es ist Feiertag.
    Er ist mehrere Meter weg von mir, doch ich habe ihn so nah bei mir, als wären wir noch ineinander verschlungen.
    Als ich ihn zum Abschied küsse und zu mir hochgehe, in Unterwäsche, meine Sachen unter dem Arm, haben wir an diesem Morgen kein Wort gewechselt.
    Bei mir oben lasse ich das Duschen sein. Man kann viele Gründe haben, um sich nicht zu waschen. In Qaanaaq gab es eine Mutter, die die linke Wange ihres Kindes drei Jahre lang nicht wusch, weil Königin Ingrid sie geküßt hatte.
    Ich ziehe mich an und gehe zur Telefonzelle auf dem Markt. Von dort aus rufe ich das Reichskrankenhaus an, Gerichtsmedizinisches Institut, Staatsobduzentur von Kopenhagen, und ich bitte um Doktor Lagermann.
     
    Er hat gelüftet, wie sich zeigt, nur um genug Sauerstoff zu haben, damit die nächste Zigarre brennt. Einen kurzen Moment jedoch gibt es frische Luft und Kühle.
    »Können die die viele Luft vertragen, die Kakteen?«
    Mit Ironie verzinsen sich die Investitionen bei Lagermann nicht so richtig.
    »In der Sahara, in den Senken in Niger, friert es nachts, sieben Grad. Am Tag steigt die Temperatur in der Sonne auf fünfzig Grad. Das ist der größte Temperaturunterschied auf der Erdoberfläche innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Manchmal regnet es fünf Jahre hintereinander nicht.«
    »Aber bepustet sie jemand mit Zigarrenrauch?«
    Er seufzt.
    »Drinnen darf ich wegen der Familie nicht rauchen. Und hier draußen belästigen mich meine Besucher.«
    Er legt die Zigarre in die Kiste zurück. Eine flache Holzkiste mit einem Bild von Romeo, der auf dem Balkon Julia küßt.
    »Und jetzt«, sagt er, »will ich eine Erklärung.«
    Ich muß meine Gedanken zusammennehmen. Sie sind jedoch bei dem Kuß auf der Zigarrenkiste hängengeblieben.
    »Kennen Sie Euklids Elemente? « frage ich.
    Dann erzähle ich ihm alles der Reihe nach. Von Jesajas Tod. Von der Polizei. Von der Kryolithgesellschaft Dänemark. Vom Arktischen Museum. Ein bißchen vom Mechaniker. Von Andreas Licht.
    Sobald ich angefangen habe, vergißt er sich und fischt eine Zigarre aus der Kiste.
    Es dauert zwei Zigarren, bis

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