Peter Hoeg
der Mole, die sich entfernt.
Am Kai entzündet sich ein Funke. Nur ein Licht. Wie wenn jemand eine Zigarette anzündet. Die Glut steigt, schwebt in einem Bogen zu mir herüber und zieht einen Funkenregen nach. Es ist ein Feuerwerkskörper.
Er explodiert mit einem gedämpften Knall ein Stück über meinem Kopf. In der nächsten Sekunde bin ich blind. Von der Mole und vom Wasser wird mir ein böser, weißer Schein entgegengeschleudert. Im selben Moment entzieht der Brand der Luft allen Sauerstoff, und ich werfe mich auf den Boden. Es ist ein Gefühl, als hätte ich Sand in den Augen, als atmete ich in einer Plastiktüte, auf die jemand mit einem Fön pustet. Die Benzinkanister, sie haben Benzin über das Schiff gekippt!
Ich krieche zurück und öffne die Tür zu dem Raum, aus dem ich gekommen bin. Jetzt hat es dort so viel Licht, wie man sich nur wünschen kann. Die Abdeckung der Oberlichter ist weggebrannt, der Raum wird wie von einer gigantischen Höhensonne erleuchtet.
An Deck ertönt ersticktes Krachen, das Licht von außen flackert blau und danach gelb. Danach füllt sich die Luft mit verbrannter Epoxydfarbe.
Ich krieche in das Schlafzimmer zurück. Es ist jetzt so heiß wie eine Sauna. Gegen das Weiße der Bullaugen sehe ich den Rauch, der allmählich eindringt. Vor einer der Scheiben ist das Feuer einen Augenblick lang verschwunden. Das Silo der Sojafabrik leuchtet wie im Sonnenuntergang, die Fenster an der Islands Brygge glühen wie geschmolzenes Glas. Es sind die Reflexe des Feuers um mich herum.
Dann verbreitet sich durch das Glas ein Spinnennetz aus Hitzesprengungen, und die Aussicht ist weg.
Ich denke daran, ob Dieselöl wohl brennen kann. Ich meine mich zu erinnern, daß es davon abhängt, wie hoch die Temperatur ist. Im selben Moment fliegt der Dieseltank in die Luft.
Es ist kein Krachen, eher ein Zischen, das in ein Brüllen übergeht, das ansteigt und zum lautesten Geräusch wird, das es auf Erden je gegeben hat. Ich bohre den Kopf in die Kajütendielen. Als ich ihn anhebe, ist das Bett weg. Die Wand zum Maschinenraum ist weg, ich schaue in eine Welt aus Feuer. Mitten in dieser Welt ist der Motor ein schwarzes Viereck mit einem ziselierten Rohrnetz. Dann fängt er an zu sinken. Er bricht vom Schiff ab. Als er auf das Meer trifft, kocht eine Explosion hoch. Danach verschwindet er. Über dem Wasser weben wabernde Dieselzungen einen Feuerteppich.
Die Rückseite des Schiffes bildet jetzt zur Islands Brygge hin ein offenes Tor. Während ich noch dastehe und zusehe, dreht sich das ganze Schiff langsam weg von dem brennenden Öl. Der Rumpf krängt. Das Wasser ist eingedrungen und zieht ihn nach hinten. Ich stehe bis zu den Knien im Wasser.
Hinter mir schlägt die Tür, der Professor und Kurator Andreas Fine Licht kommt herein. Die Krängung hat den Bürostuhl ins Rollen gebracht. Er knallt in das Schott neben mir. Dann saust er durch das, was einmal sein Schlafzimmer war, und stürzt ins Wasser.
Ich ziehe mich aus. Wildledermantel, Pullover, Schuhe, Hose, Hemd, Slip und zuletzt die Strümpfe. Ich greife nach meiner Mütze. Auf meinem Kopf sitzt nur ein Kranz aus Pelz. Die Stichflamme des Dieselmotors muß sie weggebrannt haben. Ich habe Blut an den Händen. Auf dem Kopf bin ich kahlgesengt. Bis zum Kai der Svajerbrygge sind es ungefähr zweihundert Meter. Ich habe keine Wahl. Auf der entgegengesetzten Seite ist das Feuer. Also springe ich.
Der Kälteschock läßt mich die Augen öffnen, noch während ich unter Wasser bin. Alles ist strahlend grün und rot, erleuchtet durch das Feuer. Ich schaue nicht zurück. In Wasser unter sechs Grad Celsius überlebt man nur wenige Minuten. Die Zahl der Minuten hängt vom Trainingszustand ab. Die Kanalschwimmer waren in guter Form. Sie haben lange ausgehalten. Ich bin in sehr schlechter Form.
Ich schwimme fast aufrecht, so daß nur die Lippen frei sind. Das Problem ist die Schwere in dem Teil des Körpers, der über Wasser ist. Nach wenigen Sekunden kommt das Zittern. Während die Körpertemperatur von achtunddreißig auf sechsunddreißig Grad absinkt, zittert man. Danach verschwindet das Zittern. Während die Temperatur auf dreißig Grad abfällt. Dreißig Grad sind kritisch. Dort fängt die Gleichgültigkeit an. Dort erfriert man.
Nach hundert Metern kann ich die Arme nicht mehr strecken. Ich denke an meine Vergangenheit. Es hilft nicht. Ich denke an Jesaja. Es hilft nicht. Ich habe plötzlich nicht mehr das Gefühl zu schwimmen, sondern das Gefühl, daß
Weitere Kostenlose Bücher