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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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ich fertig bin.
    Als ich aufhöre zu reden, zieht er sich zurück, als wolle er Abstand zwischen uns legen. Langsam schlendert er auf den kurzen kleinen Trampelpfaden zwischen den Pflanzen herum. Er hat einen Trick, mit dem er die letzten Millimeter der Zigarre raucht, so daß er die Glut zuletzt zwischen den Fingern hat. Dann läßt er die letzten Tabakkrümel in die Beete fallen.
    Er kommt zu mir.
    »Ich habe meine Schweigepflicht gebrochen. Ich begehe eine strafbare Handlung, wenn ich gegenüber der Polizei verschweige, was Sie mir erzählt haben. Ich trete hier gegen einen der einflußreichsten Wissenschaftler von Dänemark an, außerdem gegen den Staatsanwalt und den Chef der Reichspolizei. Man hat schon Leute gefeuert, weil sie nur die Hälfte von dem gedacht haben, was ich bereits getan habe. Und ich habe eine Familie zu versorgen.«
    »Und die Kakteen müssen gegossen werden«, sage ich.
    »Aber was hätten die Kinder schon von einem Vater, dem der Arsch auf Grundeis geht, sobald sein Lebensunterhalt bedroht ist?«
    Ich sage nichts.
    »Man kann sein Geld wohl auch auf andere ehrliche Weise verdienen und muß nicht unbedingt Oberarzt sein. Meine Großmutter war Jüdin. Vielleicht kann ich die Toiletten auf dem mosaischen Friedhof putzen.«
    Er denkt laut. Aber er hat sich bereits entschieden.
    Drinnen in der Küche bleibt er stehen.
    »Jahr und Datum der beiden Expeditionen?«
    Ich gebe sie ihm.
    »Könnte vielleicht aufschlußreich sein, wenn man sich die gerichtsmedizinischen Erklärungen von damals anschauen würde«, sagt er.
    Die ersten Brote sind schon aus dem Ofen. Eines stellt eine nackte Frau dar. Brustwarzen und Schamhaare sind aus Rosinen.
    »Guck mal«, sagt ein kleiner Junge zu mir, »das sollst du sein.«
    »Ja«, ruft ein anderer, »zieh dich mal aus, damit wir sehen können, ob es stimmt.«
    »Halt die Klappe«, sagt Lagermann.
    Er hilft mir in den Mantel.
    »Meine Frau meint, daß man seinen Kindern unter keinen Umständen eine runterhauen darf.«
    »In Grönland«, sage ich, »schlägt man seine Kinder auch nie.«
    Er sieht enttäuscht aus.
    »Aber es ist zum Teufel noch mal doch nur menschlich, wenn es einen manchmal in den Fingern juckt.«
    Der Mechaniker steht auf dem Bürgersteig. Die beiden Männer drücken einander die Hand. In ihrem Versuch, sich entgegenzukommen, reckt sich der Gerichtsmediziner, während sich der Mechaniker gegen die Erde drückt. Sie treffen sich in der Mitte, in einem Stummfilm aus Linkischkeit. Wie so oft erhebt sich die Frage, weshalb Männer in ihrer Persönlichkeit oft diffus sind, wie es sein kann, daß sie an einem Obduktionstisch, in einer Küche, hinter einem Hundeschlitten virtuose Equilibristen sein können, während sie, wenn sie einem Fremden die Hand geben müssen, in infantiler Unbeholfenheit versinken.
    »Loyen«, sagt Lagermann.
    Er wendet sich halb vom Mechaniker ab, wie um ihn aus dem Gespräch herauszuhalten. Ein letzter mißglückter Versuch, die fachliche Diskretion zu wahren und einen Kollegen zu schützen.
    »Er kam frühmorgens. Er kommt und geht, wie es ihm paßt. Aber die Wache hat ihn gesehen. Ich habe im Arbeitsplan nachgeschlagen. Er hatte keinen anderen Grund zu kommen. Er hat die Biopsie gemacht. Er hat es, verdammt noch mal, nicht lassen können. Die Wache sagt, die Putzfrauen seien zur selben Zeit dagewesen. Vielleicht hat er deswegen geschlampt.«
    »Wie hat er gewußt, daß der Junge tot war?«
    Er zuckt die Achseln.
    »Ving.«
    Das ist der Mechaniker. Lagermann sieht ihn feindselig an.
    »V-Ving. Juliane hat ihn angerufen. Und dann muß er Loyen angerufen haben.«
     
    Sein kleiner Morris hält draußen. Wir sitzen nebeneinander, ohne etwas zu sagen. Als er spricht, stottert er heftig.
    »Ich bin dir hinterhergefahren. Habe oben am Tuborgvej gehalten und g-ge-sehen, wie du durch das Moor gegangen bist.«
    Unnötig zu fragen, warum. Irgendwo sind wir beide gleich verschreckt.
    Ich knöpfe unsere Kleider auf. Setze mich rittlings auf ihn und lasse ihn in mich hinein. Wir sitzen lange so.
     
    Er macht Klebeband an meine Eingangstür. Er hat eine Art weißes, mattes Band, wie es die Graphiker benutzen. Mit einer Schere schneidet er zwei schmale Streifen und klebt sie an die obere und die untere Türangel. Sie sind nicht zu sehen. Wenn man weiß, wo sie sind, kann man sie gerade eben spüren.
    »Bloß während dieser Tage jetzt. Jedesmal, wenn du reingehst, fühlst du erst nach, ob sie noch festsitzen. Wenn sie nachgegeben haben,

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