Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Vom Netzwerk:
auf dem Telefon.
    »Sehr klug«, sagt er. »Diese Apparate bringen unschuldigen Bürgern endloses Unglück. Besser wäre es allerdings gewesen, überhaupt keine Anrufe zu beantworten oder Telefonnummern anzugeben. Das Schiff war im großen und ganzen ausgebrannt. Das Telefon muß jedoch aus schwer brennbarem Material gewesen sein. Außerdem lag es auf dem Fußboden. Es hatte ein eingebautes Gedächtnis für die zuletzt angerufene Nummer. Die letzte Nummer war Ihre. Ich tippe darauf, daß Sie sehr bald zu einem Gespräch gebeten werden.«
    »War das nicht ein Risiko für Sie, hierherzukommen?« frage ich.
    Er hat einen Schlüssel in der Hand.
    »Während der anfänglichen Ermittlungen haben wir uns vom Hausmeister einen Schlüssel geliehen. Ich habe mir erlaubt, davon einen Abdruck zu machen. Ich bin also durch den Keller gekommen. Ich habe vor, auf demselben unauffälligen Weg wieder zu gehen.«
    Einen flüchtigen Moment lang geschieht etwas mit ihm. In seinem Gesicht wird es hell, als würde unter der Lava eine Messerspitze Humor und Menschlichkeit verbrannt. Die fossile Erinnerung des Bimssteins an damals, als alles noch heiß und flüssig war. Dieses Licht läßt mich fragen.
    »Wer ist Tørk Hviid?«
    Das Licht geht aus, sein Gesicht wird ausdruckslos, als habe die Seele den Körper verlassen.
    »Ist das ein Name?«
    Ich hebe seinen Mantel auf und helfe ihm hinein. Er ist etwas kleiner als ich. Ich schnipse ein Stäubchen von seiner Schulter. Er schaut mich an.
    »Meine Privatnummer steht im Telefonbuch. Überlegen Sie sich, ob Sie mich nicht anrufen wollen, Fräulein Smilla. Aber von einer Telefonzelle aus, wenn Sie so nett sein würden.«
    »Danke«, sage ich.
    Doch er ist bereits gegangen.
    Das Glockenspiel an der Erlöserkirche läutet. Ich sehe den Mechaniker an. Ich habe die Hände auf dem Rücken. Der Raum ist erfüllt von dem, was Ravn mitgebracht und zurückgelassen hat. Aufrichtigkeit, Bitterkeit, Andeutungen, eine Art menschlicher Wärme. Und noch etwas anderes.
    »Er hat gelogen«, sage ich. »Zuletzt hat er gelogen. Er weiß, wer Tørk Hviid ist.«
    Wir sehen einander in die Augen. Etwas stimmt nicht.
    »Ich hasse Unwahrheiten«, sage ich. »Wenn gelogen werden muß, besorge ich das schon selber.«
    »Dann hättest du ihm das sagen sollen. Statt ihn auch noch anzufassen.«
    Ich traue meinen Ohren nicht, sehe aber, daß ich richtig gehört habe. Aus seinen Augen leuchtet der Widerschein der reinen, unverfälschten, stupiden Eifersucht.
    »Ich habe ihn nicht angefaßt«, sage ich. »Ich habe ihm in den Mantel geholfen. Aus drei Gründen. Erstens, weil das eine Höflichkeit ist, die man einem gebrechlichen älteren Herrn schuldig ist. Zweitens, weil er mit seinem Kommen vermutlich seine Stelle und seine Pension aufs Spiel gesetzt hat.«
    »Und drittens?«
    »Drittens«, sage ich, »weil ich damit Gelegenheit hatte, sein Portemonnaie zu stehlen.«
    Ich lege es auf den Tisch, unter das Licht, wo Jesajas Zigarrenkiste einmal gestanden hat, ein Doppelportemonnaie aus schwerem braunem Ochsenleder.
    Der Mechaniker sieht mich starr an.
    »Gebrauchsdiebstahl«, sage ich. »Wird im Strafgesetz milde geahndet.«
    Ich leere den Inhalt auf die Tischplatte aus. Kreditkarten, Geldscheine. Ein Plastiketui mit einer weißen Karte, die unter einer geprägten schwarzen Krone bestätigt, daß Ravn das Recht hat, auf den Parkplätzen der Ministerien zu halten. Eine Rechnung aus der vornehmen Schneiderei der Gebrüder Andersen. Sie lautet über achttausend Kronen. Eine kleine Stoffprobe aus grauer Wolle ist mit einer Büroklammer am Papier festgemacht. ›Herrenmantel, Lewis-Tweed, geliefert 27. Oktober 1993‹. Bis jetzt habe ich seine Mäntel für einen Irrtum gehalten. Eine Kollektion, die er gebraucht gekauft hat. Jetzt sehe ich, daß sie Absicht sind. Von seinem normalen Beamtengehalt kauft er sich für ein Heidengeld die zarte Illusion eines zusätzlichen halben Meters Schulterbreite. Aus irgendeinem Grund gibt ihm das einen versöhnlichen Anstrich.
    Das Portemonnaie enthält auch Münzen. Ich schütte sie aus. Dazwischen liegt ein Zahn. Der Mechaniker beugt sich über mich. Ich lehne mich gegen ihn und schließe die Augen.
    »Ein Milchzahn«, sagt er.
    Ganz hinten im Portemonnaie steckt ein Bündel Fotografien. Ich lege sie aus wie Karten für eine Patience. Auf einem Mahagonibuffet steht ein Samowar. Daneben ein Bücherregal mit Büchern. Zu den dänischen Wörtern, die für mich nie etwas anderes als sprachliche

Weitere Kostenlose Bücher