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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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vor der Islands Brygge. Ich schüttele den Kopf. Jetzt, gerade jetzt, erscheint mir das Leben so wertvoll.
     
    Wir rufen Lander von einer Telefonzelle aus an. Er ist noch im Büro.
    »Und wenn das Schiff nun Kronos hieße«, sage ich.
    Er geht und kommt zurück. Es vergeht einige Zeit, während er blättert.
    » Lloyd's Register of Ships hat fünf: einen Chemietanker mit Heimathafen Frederiksstad, einen Sandpumper in Odense, einen Schlepper in Gdansk und zwei General Cargo, einen in Piräus und einen in Panama.«
    »Die beiden letzten.«
    »Der griechische hat 1.200 Tonnen, der andere 4.000.«
    Ich reiche dem Mechaniker den Kugelschreiber. Er schüttelt den Kopf.
    »Z-Zahlen kann ich auch nicht«, flüstert er.
    »Irgendein Bild?«
    »Nicht bei Lloyd's. Aber eine ganze Menge Zahlen. 127 Meter lang, 1957 in Hamburg gebaut, eisverstärkt.«
    »Die Eigentümer.«
    Er verläßt das Telefon erneut. Ich sehe den Mechaniker an. Sein Gesicht liegt im Dunkeln, ab und zu lassen Autoscheinwerfer es hervortreten, es ist besorgt, empfindsam. Und hat unter der Empfindsamkeit etwas Unverrückbares.
    »In Lloyd's Maritime Directory steht der Reeder als ›Plejada‹, registriert in Panama. Aber der Name sieht dänisch aus. Eine Katja Claussen. Nie von ihr gehört.«
    »Aber ich«, sage ich. »Die Kronos ist unser Schiff, Lander.«

3
    Wir sitzen in seinem Bett, den Rücken an der Wand. Die Narben an seinen Handgelenken und Knöcheln wirken in diesem Licht gegen seine weiße Nacktheit schwarz wie Eisenbügel.
    »Hast du das Gefühl, daß man über sein Leben bestimmt, Smilla?«
    »Die Details«, sage ich. »Die großen Dinge kommen von selbst.«
    Das Telefon klingelt.
    Er nimmt das Klebeband ab und hört sich einen kurzen Bescheid an. Dann legt er den Hörer auf.
    »Kann sein, daß du deine Hochhackigen raussuchen mußt. Birgo will uns heute abend treffen.«
    »Wo?«
    Er lacht geheimnisvoll.
    »An einem schwarzen Ort, Smilla. Aber zieh dich nett an.«
     
    Er trägt mich die Treppe hinauf. Ich zappele in seinen Armen, und wir lachen lautlos, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. In Qaanaaq, als ich klein war, schleppte der Bräutigam die Braut in der Hochzeitsnacht zum Schlitten, und unter dem Gejohle der Gäste fuhren sie fort. Zuweilen tun sie das heute noch. Die Stunde, die ich jetzt allein sein muß, um mich umzuziehen, kommt mir schon im voraus lang vor. Am liebsten würde ich ihn bitten zu bleiben, wo ich ihn die ganze Zeit über sehen kann. Für mich ist er noch nicht richtig in meiner Wirklichkeit angekommen. Noch sind seine unbeholfene Sanftheit, seine Massivität und linkische Höflichkeit wie ein klarer Traum. Aber eben nur ein Traum. Ich recke mich, greife nach dem Türrahmen und wehre mich dagegen, abgesetzt zu werden. Ich lasse die Finger an der oberen Angel entlanggleiten. Die beiden Stücke Klebeband sind zerrissen, die ausgefransten Kanten piken gegen meine Fingerspitzen.Ich nehme seine Hände und führe sie über das Klebeband. Sein Gesicht wird sehr ernst. Er legt seinen Mund an mein Ohr.
    »Wir verdrücken uns . . .«
    Ich schüttele den Kopf. Meine Wohnung ist unverletzlich. Alles kann man mir nehmen. Aber eine Ecke ganz für mich, die muß ich haben.
    Ich fasse die Türklinke an. Die Tür ist unverschlossen. Ich gehe hinein. Er muß mir folgen. Aber er tut es nicht gern.
    Die Wohnung ist kalt. Weil ich immer die Heizung herunterdrehe, wenn ich gehe. Bei Energie bin ich geizig. Ich dichte die Fenster ab. Ich mache die Türen zu. Das kommt noch aus Thule. Von der gesunden Erfahrung, wie kostbar und rar Petroleum ist. Deshalb mache ich auch immer das Licht hinter mir aus. Und lasse überhaupt sowenig wie möglich brennen. Jetzt kommt aus dem Wohnzimmer ein Licht in den Flur, das ich nicht angemacht habe.
    Der drehbare Schreibtischstuhl ist zum Fenster hingezogen. Über der Rücklehne hängt ein Mantel mit sehr breiten Schultern. Direkt auf den Schultern schwebt ein Hut. Auf dem Fensterbrett ein Paar schwarze, gut geputzte Schuhe.
    Ich glaube nicht, daß wir Krach gemacht haben. Trotzdem werden die Schuhe jetzt heruntergenommen, der Stuhl dreht sich langsam zu uns um.
    »Guten Abend, Fräulein Smilla«, sagt er. »Und Herr Føjl.«
    Es ist Ravn.
    Sein Gesicht ist aschgrau vor Müdigkeit, auf seinen Wangen zeichnet sich der Schatten eines Barts ab, und ich kann mir nicht vorstellen, daß der Staatsanwalt für Wirtschaftskriminalität den mögen würde. Ravns Stimme ist undeutlich, wie bei jemandem, der lange Zeit

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