Peter Hoeg
zu, ohne zu spielen. Der Raum zittert in tiefer Konzentration. Die Gesichter der Spieler im Licht sind bleich, angespannt, hingerissen.
Ab und zu reißt sich eine Gestalt vom Tisch los und verschwindet an uns vorbei. Einige gebeugt, andere mit leuchtenden Augen, die meisten aber neutral, konzentriert. Einige grüßen Lander, mich sieht niemand.
»Die sehen mich nicht«, sage ich.
Er drückt meinen Arm.
»Du bist doch in die Schule gegangen, Schätzchen, du erinnerst dich doch, wie Männer innen aussehen. Herz, Gehirn, Leber, Niere, Magen, Testikel. Aber wenn man hier hereinkommt, verändert sich was. Sobald du deine Jetons wechselst, macht sich ein kleines Tier in deinem Inneren breit, ein kleiner Parasit. Zuletzt versuchst du nur noch, dich zu erinnern, welche Karten gespielt worden sind, zu spüren, wohin die Kugel fallen wird, und auszurechnen, welche Kartenkombinationen wahrscheinlich sind und wieviel du verloren hast.«
Wir schauen uns die Gesichter um den Tisch an, an den er mich geführt hat. Sie sind wie leere Hülsen. Es ist kaum vorstellbar, daß sie ein Leben außerhalb dieses Raumes haben. Haben sie ja vielleicht auch nicht.
»Der Parasit, das ist die Spielleidenschaft, Schätzchen. Sie ist wie ein Raubtier, eines der reißendsten Raubtiere der Welt. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mehrmals alles verloren. Aber ich bin wiedergekommen. Deshalb mußte ich mich hier einkaufen. Jetzt, wo es mir gehört, jetzt, wo ich es von hinten gesehen habe, ist es anders geworden.«
Zwischen den Rücken bildet sich eine Öffnung, der grüne Filz kommt zum Vorschein. Der Croupier ist eine junge, hellblonde Frau mit langen roten Nägeln und einem perfekten, etwas nasalen Englisch.
»Buying in? 45.000 goes down. One, two, three . . .«
Ein paar Gäste haben ein Mineralwasser vor sich stehen. Niemand trinkt Alkohol.
»Diese Leute, Schätzchen, die haben einfach einen Vogel. Allerdings in unterschiedlicher Größe. Bei manchen ist es ein Kanarienvogel. Bei mir ist es eine Mastente. Bei dem da ist es sogar ein Strauß . . .«
Er hat geflüstert und auf niemanden gezeigt, doch ich bin mir ganz sicher, der Mann, über den er spricht, sitzt seitlich von uns. Er hat ein perfektes slawisches Gesicht und sieht aus wie einer der in den siebziger Jahren geflohenen Ballettänzer. Hohe Wangenknochen, schwarze, drahtige Haare. Seine Hände liegen auf Stapeln farbiger Jetons. Er rührt keinen Muskel. Seine Aufmerksamkeit ist auf den Kartenhaufen neben dem Croupier gerichtet, als setze er jetzt sein ganzes Wesen ein, um den Ausgang des Spiels zu beeinflussen.
»Thirteen, Blackjack, Insurance, Sir? Sixteen. Do you want to split,Sir? Seventeen, too many, nineteen . . .«
»Ein Strauß, der ihn von innen her aufgefressen hat und jetzt mehr Platz beansprucht als er selbst. Er kommt jede Nacht hierher, bis er alles verspielt hat. Danach arbeitet er ein halbes Jahr. Dann kommt er wieder hierher und verliert alles.«
Er lehnt seinen Mund an mein Ohr.
»Kapitän Sigmund Lukas. Vorige Woche hat er das letzte verloren. Mußte sich von mir Geld für ein Päckchen Zigaretten und fürs Taxi nach Hause leihen.«
Sein Alter ist unbestimmbar. Er könnte Mitte Dreißig, Mitte Vierzig sein. Vielleicht ist er fünfzig. Während ich ihn anschaue, gewinnt er und streicht einen hohen Stapel Jetons ein.
»Jeder Jeton ist 5.000 Kronen wert. Wir haben sie letzten Monat machen lassen. Jeder Tisch hat verschiedene Tarife. Das hier ist die teure Platte. Der Mindesteinsatz beträgt 1.000 Kronen, das Maximum 20.000. Mit dem Recht zu verdoppeln und einer durchschnittlichen Spielzeit von anderthalb Minuten pro Runde bedeutet das, daß du in fünf Minuten 100.000 gewinnen oder verlieren kannst.«
»Wenn er blank ist, mit wessen Geld spielt er denn dann heute?«
»Heute spielt er mit Onkel Landers Geld, Schätzchen.«
Er zieht mich weiter. Wir stellen uns mit dem Rücken zur Bar. Neben ihn wird ein hohes, mattes Glas hingestellt. Es hat im Freezer gelegen und ist von einer dünnen Schicht Eis bedeckt, das jetzt schmilzt und langsam herunterrutscht. Gefüllt ist es mit einer klaren, bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
» Bulshot , Schätzchen. Acht Zentiliter Wodka, acht Zentiliter Rindsbouillon.«
Er überlegt etwas.
»Schau dir mal unsere Kunden an. Alles ganz verschiedene Menschen. Ziemlich viele Anwälte. Ein Teil Handwerksmeister. Ein paar Jungs, die von zu Hause ein dickes Taschengeld mitbringen. Die schwere Artillerie der dänischen Unterwelt.
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