Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
gebrochen, sämtliche Bänder gerissen -, weiß er, dass seine Karriere als Fußballspieler ihr Ende gefunden hat. Und er weiß auch, dass seine wirtschaftliche Situation aussichtslos ist. Denn in den Tennisschulen von Peter Neururer gibt es nur einen einzigen Angestellten: den Chef selbst. Und als der ausfallt, ist dort niemand, der die bereits gezahlten Unterrichtsstunden der 240 Schüler übernehmen kann. Um die Situation kurzfristig in den Griff zu bekommen, stellt Neururer Trainer ein, die ihn ersetzen, die aber auch bezahlt werden wollen. Nur sein acht Jahre älterer Bruder Günter arbeitet unentgeltlich. Wie er die Leute entlohnen will, weiß Neururer nicht. Wie das alles perspektivisch weitergehen soll, weiß er auch nicht. Er ist bei null angekommen. In allen Bereichen seines Lebens. Das bekommt er nicht zuletzt auch im Privaten zu spüren. Menschen, die er für Freunde gehalten hat, wenden sich plötzlich von ihm ab. Kommilitonen an der Kölner Universität, die er von seinem Verdienst als Tennisschulenbesitzer und Besserverdiener schon mal spontan zum Partywochenende nach Ibiza eingeladen hat, können ihm plötzlich keine 50 Mark mehr leihen. Seinen Eltern zu beichten, wie schlimm es um ihn steht, traut Neururer sich nicht: »Die hätten mich sofort enterbt.«
In dieser Zeit lernt er in einem Gelsenkirchener Bistro eine junge Studentin kennen, die dort zur Aushilfe kellnert und in die sich der Pleitestudent erheblich verknallt. Antje heißt sie. Als er sich mit Antje erstmals verabredet, hat Neururer Sorge. Keine finanzielle, sondern schlichtweg die, dass die Angebetete zu spät zum ersten Treffen kommen könnte. Neururer ist ein Pünktlichkeitsfanatiker. Das hat er von seinem Vater übernommen, dem wenn überhaupt einzigen Vorbild in Peter Neururers Leben.
Es ist der 25. März 1984,17:59 Uhr. Neururer ist eine Minute vor dem verabredeten Zeitpunkt in dem Bistro angekommen -von seiner Angebeteten ist nichts zu sehen. »Wenn die jetzt nicht kommt«, denkt Neururer, »ich habe Prinzipien ...«
Was die zukünftige Frau Neururer nicht weiß: Wäre sie bis fünf Minuten nach sechs nicht aufgetaucht, hätte Peter Neururer in ihrem Leben nicht mehr stattgefunden. Antje erscheint binnen der ihr unbekannten Frist. Noch im selben Jahr, am 28. Dezember, dem Geburtstag Antjes, heiraten die beiden, sie leben vom schmalen Kellnerinnenverdienst. »Doch mit all den Geschenken, die man im Rahmen so einer
Hochzeit erhält«, sagt Neururer, »waren wir wieder bei plus/ minus null.«
Nur einmal in seinem Leben wird Peter Neururer noch in einem Casino um Einsätze zocken. Irgendwann in den 1990er-Jahren werden seine Frau und er, wie auch sein Ex-Spieler, späterer Co-Trainer und Freund Günter Güttier, zur Eröffnung einer Ferienclubanlage in der Dominikanischen Republik eingeladen. »Bavaro Beach« heißt der Komplex in Punta Cana. Neururer und Güttier treffen dort auch andere Fußballprominenz. Die ehemaligen Nationalspieler Jürgen Kohler und Stefan Reuter folgen der Einladung ebenfalls und nehmen in Gesellschaft ihrer Ehefrauen den Neun-Stunden-Flug zum Inselstaat auf sich.
Beim abendlichen Spaziergang entdeckt Güttier das Casino, das zur Anlage gehört. Er überredet Neururer und dessen Frau Antje, auf ein, zwei Partien mitzukommen. Neururer besorgt sich an der Casinokasse einen Jeton im Wert von umgerechnet zehn Mark und geht zu einem der Blackjack-Tische. Er setzt alles - und macht gleich im ersten Anlauf aus den zehn 50 Mark. Der Croupier schiebt Neururer fünf Jetons zu. Doch ehe der zugreifen kann, hat seine Frau die Plastikmünzen bereits einkassiert.
»Schatz, davon gehen wir jetzt essen«, sagt Antje Neururer.
»Moment mal«, antwortet ihr Mann, »ich hab einen guten Lauf, und ich fang doch eben erst an.«
»Das gerade war dein allerletztes Spiel, Schatz.«
Einfach nur Fußball - Die Liebe zum Spiel
Das Hillsborough-Stadion von Sheffield erlangt im April 1989 traurige Berühmtheit. Beim Halbfinale im englischen FA Cup finden 96 Anhänger des FC Liverpool bei einer Massenpanik den Tod, 766 Fans erleiden zum Teil schwere Verletzungen.
23 Jahre zuvor, es ist der 12. Juli 1966, sitzt der elfjährige Peter Neururer an der Seite seines Vaters Adolf in dieser reinen Fußballarena. Es ist das Jahr der Weltmeisterschaft, und es sind Sommerferien. Peter Neururer und sein Vater sind vom heimischen Marl mit dem Auto ins belgische Ostende gefahren und von dort mit der Fähre nach Dover übergesetzt. In England
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