Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
schauen sich die beiden die Vorrundenspiele der deutschen Mannschaft an.
An diesem Dienstagabend ist Peter Neururer vom Auftritt der Deutschen in ihrem ersten Gruppenspiel beeindruckt. Fünf Tore - eins von »Sigi« Held, zwei von Helmut Haller und ebenfalls zwei durch Jungstar Franz Beckenbauer - erzielt das Team von Bundestrainer Helmut Schön. Gegner Schweiz ist chancenlos. Vier Tage später sehen die Neururers im Villa Park von Birmingham ein 0:0 gegen Argentinien und am 20. Juli an gleicher Stelle dann ein Spiel, das nicht nur der kleine Peter so schnell nicht vergessen wird.
Gegen Spanien gerät die Mannschaft, in der Beckenbauer groß aufspielt, das einzige Mal vor dem Finale in Rückstand. Doch nur eine Viertelstunde nach der Führung durch Barcelonas Kapitän Josep Maria Fuste gelingt dem Dortmunder Lothar Emmerich ein sagenhaftes Tor aus unglaublichem Winkel. Peter Neururer kann die Flugbahn des Balles nur erahnen, er sitzt in der Verlängerung der Außenlinie, Höhe Eckfahne. »Das war der absolute Hammer«, erinnert er sich, »mit diesem Schuss hatte keiner gerechnet, Spaniens Torwart Iribar schon gar nicht. Er war aber auch chancenlos.«
Der junge Peter Neururer genießt die unvergleichlich tolle Atmosphäre in den englischen Stadien, und obwohl alle später vor allem von den sagenhaften Leistungen Beckenbauers bei diesem Turnier sprechen: Für Neururer sind die wahren Stars in der deutschen Mannschaft Wolfgang Overath und Wolfgang Weber - zwei Spieler seines Lieblingsvereins 1. FC Köln.
1962, im Jahr vor dem Bundesliga-Start, ist Peter Neururer in Begleitung seines Vaters mit dem Fahrrad ins Hamborner August-Thyssen-Stadion gefahren. Dort empfängt der Club der Neururers, Hamborn 07, in der Oberliga den deutschen Meister aus ICöln. Bei den Gästen laufen in strahlend weißen Trikots Spieler auf wie Fritz Hemmersbach, Toni Regh, Christian Müller, Heinz Hornig, Hannes Lohr, im Tor steht Fritz Ewert. Der siebenjährige Neururer ist von der Art und Weise, wie der FC spielt, begeistert. Er wechselt den Verein. Für ihn zählt Hamborn 07 nicht mehr, ab sofort zählt nur noch der FC.
Nach der WM-Vorrunde kehren die Neururers wieder nach Deutschland zurück, das Endspiel gegen Gastgeber England verfolgt man im Kreis der Familie und mit 25 weiteren Jugendlichen auf der Nordseeinsel Sylt. Neururers Mutter Josefa hat mit der Stadt Marl dort eine Ferienfreizeit organisiert.
Als es zu jenem berühmten Tor von »Geoff« Hurst kommt, das - wie wir inzwischen alle wissen - keines gewesen ist, beginnt Peter Neururer vor dem Fernseher sitzend
Linienrichter Bachramow aufs Fürchterlichste zu beschimpfen. Der Russe hat Schiedsrichter Dienst signalisiert, dass Hursts Ball hinter der Linie gewesen ist. Als Neururers Wut und Verzweiflung über diese ungeheuerliche Ungerechtigkeit in einem heftigen Heulanfall kulminiert, setzt es einen Anschiss vom Vater: »Ein Neururer hat so ein unsportliches Verhalten nicht zu zeigen.« Die Hand des Vaters fährt aus -es wird nur ein leichter Klaps. »Man hat«, so Adolf Neururer weiter, »die Entscheidungen anderer Leute, wie sie auch ausfallen, zu respektieren.«
Damals versteht Neururer junior seinen Vater nicht. War er denn als Anhänger der deutschen Mannschaft nicht genauso enttäuscht ob der Fehlentscheidung des Unparteiischen? Heute bewertet der Sohn die Reaktion anders. Bemerkenswert findet er sie und versucht, Ähnliches vorzuleben: »Wenn man jemandem keinen Vorsatz nachweisen kann«, sagt Peter Neururer, »gilt es Fehler zum eigenen Nachteil, gerade im Sport, zu respektieren.« Man weiß, es ist dem Trainer Neururer in der Vergangenheit dennoch nicht immer gelungen, dieses Ideal konsequent zu leben.
Peter Neururer entstammt gutbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater, gelernter Industriekaufmann, hat eine sichere Anstellung bei den 1938 gegründeten Chemischen Werken Hüls. Adolf Neururer, Jahrgang 1914, ist ein strenggläubiger Katholik, aus Überzeugung hat er im Widerstand gegen die Nationalsozialisten gearbeitet. Er ist ein konsequenter, geradliniger Charakter. Das einmal gegebene Wort gilt, auch wenn sich später herausstellen sollte, dass es zum eigenen Schaden ist. Neben allem anderen ist Adolf Neururer aber vor allem fußballbegeistert. Diese Leidenschaft teilt er mit seinen beiden Söhnen, auch wenn das vierte Viertel der Familie damit ein Problem hat.
Mutter Josefa Neururer empfindet Fußball als Proletensport. Sie schickt ihre beiden Jungs zu Reit- und
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