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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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exemplarisch zu bestrafen. Es wäre ihr auch beinahe geglückt: in der Kirjuschkingasse erwischte ein Wachsoldat den Toten gerade in dem Augenblick, als dieser im Begriff war, einem ausgedienten Musikanten, der vor Jahren Flöte geblasen hatte, seinen Friesmantel wegzunehmen. Er hatte das Gespenst am Kragen gepackt und der Obhut zweier herbeigerufener Kameraden übergeben; er selbst holte seine Tabaksdose hervor, um seine Nase, die schon sechsmal eingefroren war, mit einer Prise zu beleben. Der Tabak war wohl auch für einen Toten zu stark, denn kaum hatte sich der Wachsoldat ein Quantum Tabak in die Nase gestopft, als das Gespenst so heftig zu niesen begann, daß alle drei die Augen schließen mußten. Während sich die Soldaten die Augen rieben, war das Gespenst spurlos verschwunden, und sie zweifelten später, ob sie es überhaupt in den Händen gehabt hatten. Von nun an bekamen alle Wachsoldaten solche Angst vor Toten, daß sie selbst lebende Verbrecher zu verhaften fürchteten und ihnen nur von weitem zuriefen: »Na, du!! Mach, daß du weiterkommst!« Das Gespenst des toten Beamten wurde infolgedessen ganz frech und zeigte sich zuweilen auch diesseits der Kalinkinbrücke.
    Nun wollen wir zu dem »Würdenträger« zurückkehren, der eigentlich den phantastischen Verlauf unserer, übrigens höchst wahrhaften Geschichte verursacht hatte. Zur Steuer der Wahrheit sei hier festgestellt, daß er bald nach dem Auftritt mit Akakij Akakijewitsch etwas wie Mitleid verspürte. Denn Mitgefühl war diesem Beamten nicht fremd, und nur sein hoher Rang hinderte ihn, seine Herzensregungen zum Durchbruch kommen zu lassen. Sobald der zugereiste Freund gegangen war, fiel ihm wieder der Titularrat ein. Dann verfolgte ihn fast täglich das Bild des bleichen Akakij Akakijewitsch, für den die Rüge so traurige Folgen gehabt hatte. Endlich entschloß er sich, einen seiner Beamten hinzuschicken, um zu erfahren, wie es ihm gehe und ob ihm nicht irgendwie zu helfen wäre. Als er nun erfuhr, daß Akakij Akakijewitsch ganz plötzlich gestorben war, fühlte er Gewissensbisse und war auch dann den ganzen Tag schlechter Laune.
    Um diese Laune zu vertreiben und sich etwas zu zerstreuen, begab er sich abends zu einem seiner Freunde, wo er eine sehr angenehme Gesellschaft antraf: Lauter Herren des gleichen Dienstranges wie er, so daß er sich ganz ungezwungen benehmen konnte. Dies übte auf ihn einen wunderbaren Einfluß: er wurde gesprächig und liebenswürdig und verbrachte den ganzen Abend in der besten Stimmung. Beim Souper trank er zwei Glas Champagner, der bekanntlich recht günstig auf die Stimmung wirkt. Der Champagner weckte in ihm die Lust zu einigen Extravaganzen: er beschloß nämlich, nach dem Souper nicht gleich nach Hause zurückzukehren, sondern eine Dame, mit der er recht intim befreundet war, zu besuchen; sie hieß Karolina Iwanowna und war, wenn ich nicht irre, deutscher Herkunft. Der »Würdenträger« war übrigens nicht mehr jung, und galt als musterhafter Gatte und Familienvater. Zwei Söhne, von denen der eine bereits im Staatsdienst war, und eine sechzehnjährige Tochter mit einem etwas gebogenen, aber hübschen Näschen küßten ihm jeden Morgen die Hand mit dem Gruße: » Bon jour, Papa! « Seine Gattin, eine gut konservierte und stattliche Dame, ließ ihn zuerst ihre Hand küssen und küßte dann die seinige.
    Er war also in seinem Familienleben recht glücklich, und doch pflegte er freundschaftlichen Verkehr mit einer Dame, die in einem andern Stadtteil wohnte und die weder schöner noch jünger war als seine Frau; solche Rätsel kommen alle Tage vor, und wir wollen sie hier nicht näher untersuchen.
    Der »Würdenträger« ging die Treppe hinunter, setzte sich in seinen Schlitten und befahl dem Kutscher: »Zu Karolina Iwanowna!« In seinen warmen Pelzmantel gehüllt, befand er sich in jenem glückseligen Zustand, den der Russe so sehr liebt: man denkt an nichts, und die angenehmsten Gedanken kommen einem ganz von selbst in den Kopf, so daß man ihnen gar nicht nachzulaufen braucht. Er dachte an den so vergnügt verbrachten Abend und an alle guten Witze, die da aufgetischt wurden; er wiederholte sie jetzt leise vor sich hin und fand sie noch immer so gelungen und wirkungsvoll wie vorhin. Zuweilen wurde er durch den höchst lästigen Wind abgelenkt, der ohne ersichtlichen Grund von irgendwo kam, ihn mit Schnee überschüttete, schmerzhaft ins Gesicht zwickte und den Pelzkragen wie ein Segel aufblähte, so daß er mit

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