Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Baschmatschkin gemeldet wurde.
»Wer ist’s?« fragte er kurz.
»Ein Beamter.«
»So! Der kann warten, ich habe jetzt keine Zeit.«
Ich muß bemerken, daß der Würdenträger log, denn er hatte Zeit im Überfluß. In der Unterhaltung mit dem Jugendfreund waren alle Gesprächsstoffe längst erschöpft, und sie bestand nun darin, daß sie sich abwechselnd auf die Schultern klopften und dazu sagten: »So ist’s, Iwan Abramowitsch« – »Ja, ja, Stepan Warlamowitsch!« Er ließ aber den Besuch warten, um den Freund, der seit Jahren auf dem Lande lebte und alle Herrlichkeiten des Staatsdienstes vergessen hatte, zu zeigen, wie die Beamten bei ihm antichambrieren müssen. Endlich war diese Unterhaltung beendet, beide saßen rauchend in höchst bequemen Lehnsesseln, als dem Geheimrat plötzlich der vorhin gemeldete Besuch einfiel. Er sagte dem Sekretär, der ihm Papiere zur Unterschrift gebracht hatte und in ehrerbietiger Haltung an der Türe stand:
»Ich glaube, dort wartet irgendein Beamter. Sagen Sie ihm, er möchte eintreten.«
Als der Würdenträger die klägliche Gestalt und die schäbige Uniform des Akakij Akakijewitsch erblickte, herrschte er ihn brüsk an:
»Sie wünschen?«
Diesen brüsken Ton hatte er noch acht Tage vor seiner Ernennung zum Geheimrat vor einem Spiegel eingeübt.
Akakij Akakijewitsch, der auch ohnehin ganz verschüchtert war, verlor nun ganz die Fassung. Er erzählte, so gut er konnte, seine gewohnten Partikel öfter als sonst gebrauchend, er hätte einen ganz neuen Mantel gehabt, der nun gestohlen worden sei, und darum wende er sich an seine Exzellenz mit der Bitte, dem Polizeipräsidenten über die Sache zu schreiben und so bei der Suche nach dem Mantel behilflich zu sein. Diese Zumutung kam dem Geheimrat etwas bunt vor.
»Kennen Sie denn die Vorschriften nicht? Wo stehen Sie jetzt? Wissen Sie denn nicht, daß die Gesuche an die Kanzlei zu richten sind, wo sie vom Kanzleivorstand entgegengenommen werden, der sie dem Abteilungsvorstand vorlegt, und dann erst vom Sekretär mir überbracht werden?«
»Ew. Exzellenz,« stotterte Akakij Akakijewitsch mit dem Aufwand seiner ganzen Geistesgegenwart und aus allen Poren schwitzend, »ich wagte es, mich direkt an Ew. Exzellenz zu wenden, weil auf die Sekretäre – – sozusagen kein Verlaß ist …«
»Was?« schrie der Geheimrat auf. »Wo haben Sie sich mit solchem Geiste angesteckt? Wo haben Sie diese Ideen her? Wie unterstehen Sie sich, als junger Beamter hier solche Reden zu führen?«
Der »Würdenträger« schien gar nicht zu bemerken, daß Akakij Akakijewitsch hoch in den Fünfzigern stand und höchstens noch im Vergleich zu ihm selbst, der etwa siebzig Jahre alt war, »jung« genannt werden konnte.
»Wissen Sie auch, mit wem Sie reden? Begreifen Sie, wen Sie vor sich haben? Begreifen Sie es? Ich frage Sie, ob Sie es begreifen?«
Er stampfte mit dem Fuße und schrie so laut, daß auch jeder andere Mensch an der Stelle des Akakij Akakijewitsch erschrocken wäre. Auf Akakij Akakijewitsch machte dieser Auftritt aber einen solchen Eindruck, daß er am ganzen Leibe bebte und taumelte; wenn ihn zwei herbeigeeilte Diener nicht gestützt hätten, wäre er zu Boden gefallen. Der »Würdenträger« war mit dem erzielten Effekt, der alle seine Erwartungen übertraf, sehr zufrieden; er warf einen Seitenblick auf den Freund, um zu sehen, welchen Eindruck dieser von der großartigen Szene hatte und stellte mit Genugtuung fest, daß auch dieser verdutzt und sogar etwas erschrocken war.
Wie Akakij Akakijewitsch die Treppe herunterkam und wie er auf die Straße gelangte – das konnte er später selbst nicht begreifen; eine solche Rüge hatte er noch nie im Leben bekommen, und noch dazu von einem Geheimrat eines fremden Ressorts. Er ging mit offenem Mund und taumelnd durch den Schneesturm, der draußen wütete, ohne auf den Weg zu achten. Der kalte Wind wehte ihn nach Petersburger Art von allen vier Seiten zugleich an. Er bekam auch sofort eine Halsentzündung, und als er endlich zu Hause anlangte und sich ins Bett legte, hatte er bereits die Sprache verloren. Solche Wirkungen kann manchmal eine tüchtige Rüge haben!
Am nächsten Tage hatte er hohes Fieber. Mit der großmütigen Unterstützung des Petersburger Klimas entwickelte sich die Krankheit rapider, als man erwarten konnte. Der herbeigerufene Arzt betastete seinen Puls und verschrieb ihm heiße Umschläge, damit dem Kranken wenigstens etwas von den Wohltaten der Medizin zuteil
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