Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
werde; zugleich erklärte er ihm, er habe höchstens zwei Tage zu leben. Der Wirtin sagte er aber:
»Verlieren Sie keine Zeit und bestellen Sie gleich einen Fichtensarg; ein Eichensarg wird wohl zu teuer kommen.«
Ob Akakij Akakijewitsch diese Worte gehört hatte, und, wenn er sie gehört hatte, ob sie auf ihn einen Eindruck machten, ob es ihm da um sein armseliges Leben leid tat – weiß kein Mensch, denn er hatte hohes Fieber und phantasierte. Seltsame Gesichte verfolgten ihn unaufhörlich. Er sah den Schneider Petrowitsch, bei dem er einen neuen Mantel mit Fangeisen für die Diebe bestellte; er glaubte sich von Dieben umgeben, und er flehte die Wirtin an, sie möchte doch einen Dieb, der sich zu ihm unter die Decke geschlichen hätte, herausziehen; er fragte, warum der alte Morgenrock vor ihm hänge, da er doch einen neuen Mantel habe; zuweilen kam es ihm vor, als stehe er noch immer vor dem Geheimrat, der ihm eine Rüge erteilte, und da wiederholte er immer: »Ich bitte Ew. Exzellenz um Vergebung!« Dann schimpfte er wieder in so unflätigen Ausdrücken, daß die alte Wirtin, die von ihm noch nie derartige Worte vernommen hatte, sich erschrocken bekreuzigte, um so mehr, weil diese Ausdrücke immer der Anrede »Ew. Exzellenz« folgten. Dann redete er ganz unsinniges Zeug; das einzige, was man daraus verstehen konnte, war, daß seine Gedanken sich immer um den Mantel drehten. Schließlich gab der arme Akakij Akakijewitsch seinen Geist auf.
Sein Zimmer wurde nicht versiegelt und von seinem Nachlaß wurde keine Inventur aufgenommen: erstens hatte er keine Erben und zweitens bestand der ganze Nachlaß aus einem Bündel Gänsefedern, einem Buch weißen Kanzleipapiers, drei Paar Socken, einigen Hosenknöpfen und dem alten Morgenrock, den der Leser schon kennt. Wem diese Gegenstände zufielen, ist unbekannt; ich habe mich dafür nicht interessiert. Akakij Akakijewitsch wurde begraben, und Petersburg schien ihn gar nicht zu vermissen. So verschwand ein Wesen, daß ganz schutzlos war, dem niemand eine Träne nachweinte und für das sich niemand interessierte, selbst die Naturforscher nicht, die auch eine gewöhnliche Fliege einfangen, um sie mit dem Mikroskop zu betrachten; ein Geschöpf, das jeden Spott voller Demut über sich ergehen ließ, das so mir nichts dir nichts zugrunde ging, das aber vor seinem Lebensende einen lichten Gast empfangen hatte – in Gestalt des Mantels, der sein armseliges Leben für einen Augenblick mit hellem Glanz erfüllte – und das schließlich vom Unglück zermalmt wurde, das auch die Mächtigen der Erde nicht verschont.
Einige Tage nach seinem Tode kam ein Bureaudiener in seine Wohnung mit dem Befehl, er möchte doch sofort ins Amt kommen: der Herr Amtsvorstand brauche ihn. Der Bote kehrte aber unverrichteter Dinge zurück und richtete aus, Akakij Akakijewitsch werde nicht mehr kommen. Auf die Frage »Warum?« sagte er:
»Er ist gestorben. Vor vier Tagen war die Beerdigung.« Auf diese Weise erfuhr man in der Ministerialabteilung von seinem Hinscheiden; am nächsten Tage saß auf seinem Platz ein neuer Beamter, der viel größer war als der Verstorbene und der die Buchstaben nicht so steil, sondern viel schräger setzte.
Wer hätte sich gedacht, daß die Geschichte von Akakij Akakijewitsch noch nicht zu Ende ist, und daß es ihm vergönnt war, noch einige Tage nach seinem Tode Aufsehen zu erregen, wohl als Entgelt für sein unbemerkt gebliebenes Leben? So war es in der Tat, und hier nimmt unsere traurige Geschichte eine phantastische Wendung.
In Petersburg verbreitete sich das Gerücht, in der Gegend der Kalinkinbrücke treibe sich jede Nacht ein Gespenst in einer Beamtenuniform herum, das einen ihm gestohlenen Mantel suche und unter diesem Vorwande allen Passanten, ohne Ansehen der Person, die Mäntel herunterreiße: Mäntel mit Watte, mit Katzen-, Biber-, Fuchs-, Bären- und Nerzfell, kurz, mit allen Fellen und Häuten, mit denen die Menschen die eigene Haut bedecken. Ein Ministerialbeamter hatte das Gespenst mit eigenen Augen gesehen und in ihm den verstorbenen Akakij Akakijewitsch erkannt; er bekam solche Angst, daß er wie verrückt davonlief und nur noch sah, wie ihm das Gespenst mit dem Finger drohte. Unausgesetzt liefen Klagen, nicht nur von Titular-, sondern auch von Hofräten ein, das Gespenst habe ihnen den Mantel abgenommen und sie hätten sich dadurch bedenkliche Erkältungen zugezogen.
An die Polizei erging der Befehl, den Toten tot oder lebendig einzufangen und
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