Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Kollegien-Registratoren, Gouvernements- und Kollegiensekretäre gehen sehr lange auf und ab; aber die alten Kollegien-Registratoren, Titular- und Hofräte sitzen zum größten Teil zu Hause, denn sie sind verheiratete Leute oder haben bei sich deutsche Köchinnen, die ihnen die Speisen sehr schmackhaft zubereiten. Jetzt begegnet man hier wieder den ehrenwerten Greisen, die mit solcher Würde und so wunderbarem Anstand um zwei Uhr auf dem Newskij-Prospekt spazierengegangen sind. Sie rennen ebenso schnell wie die jungen Kollegien-Registratoren, um einer Dame, die sie schon aus der Ferne bemerkt haben, unter den Hut zu sehen, einer Dame, deren dicke Lippen und dick bemalte Wangen vielen Spaziergängern so sehr gefallen, am meisten aber den Ladenkommis, den Geschäftsdienern und den Kaufleuten, die in deutschen Röcken in einem ganzen Rudel, gewöhnlich Arm in Arm, spazierengehen.
»Halt!« rief um diese Zeit der Leutnant Pirogow und zupfte den neben ihm gehenden, mit einem Frack und einem Mantel bekleideten jungen Mann am Ärmel. »Hast du sie gesehen?«
»Ich habe sie gesehen: herrlich, ganz wie Peruginos Bianca.«
»Von welcher sprichst du?«
»Von ihr, von der mit den dunklen Haaren … Was für Augen! Gott, was für Augen! Die ganze Figur, der Umriß, das Oval des Gesichts – ein wahres Wunder!«
»Ich spreche aber von der Blondine, die hinter ihr nach jener Seite ging. Warum folgst du dann nicht der Brünetten, wenn sie dir so gut gefällt?«
»Was denkst du dir!« rief der junge Mann im Frack errötend. »Sie ist doch nicht eine von jenen, die jeden Abend auf dem Newskij-Prospekt herumspazieren; sie muß eine sehr vornehme Dame sein,« fuhr er mit einem Seufzer fort: »der Mantel allein wird seine achtzig Rubel gekostet haben!«
»Einfaltspinsel!« rief Pirogow und stieß ihn gewaltsam nach jener Richtung, wo ihr leuchtender Mantel wehte. »Geh, du Narr, sonst verpaßt du sie! Ich gehe aber der Blondine nach.« Die beiden Freunde trennten sich.
»Wir kennen euch alle!« dachte bei sich Pirogow mit einem selbstgefälligen und selbstbewußten Lächeln, überzeugt, daß es keine Schönheit gäbe, die ihm widerstehen könnte.
Der junge Mann im Frack und Mantel ging mit schüchternen und bebenden Schritten nach der Seite, wo der bunte Mantel wehte, bald in grellen Farben leuchtend, wenn sie sich einer Laterne näherte, bald im Dunkel verschwindend, wenn sie sich von der Laterne entfernte. Sein Herz klopfte, und er beschleunigte unwillkürlich seine Schritte. Er wagte nicht einmal daran zu denken, daß er irgendein Recht auf die Aufmerksamkeit der sich entfernenden Schönen erlangen könne, noch viel weniger konnte er den schwarzen Gedanken zulassen, auf den der Leutnant Pirogow angespielt hatte; er wollte nur das Haus sehen, sich merken, wo dieses herrliche Wesen wohnte, das auf den Newskij-Prospekt vom Himmel herabgeflogen schien und das wohl gleich wieder unbekannt wohin entschweben wird. Er lief so schnell, daß er unaufhörlich solide Herren mit grauen Backenbärten vom Trottoir stieß. Dieser junge Mann gehörte zu der Klasse, die bei uns eine ziemlich seltene Erscheinung bildet und zu den Bürgern Petersburgs nur im gleichen Maße zählt, in dem eine uns im Traume erscheinende Person zu der Welt der Wirklichkeit gehört. Dieser exklusive Stand ist sehr ungewöhnlich in dieser Stadt, wo fast alle Einwohner entweder Beamte, oder Kaufleute, oder deutsche Handwerker sind. Er war Künstler. Nicht wahr, eine seltsame Erscheinung – ein Petersburger Künstler? Ein Künstler im Lande des Schnees, im Lande der Finnen, wo alles naß, glatt, flach, bleich, grau und neblig ist! Diese Künstler gleichen gar nicht den italienischen Künstlern, die so stolz und heißblütig sind wie Italien und sein Himmel; sie sind vielmehr zum größten Teil ein gutmütiges, sanftes Völkchen, schüchtern und sorglos. So ein Künstler hängt mit einer stillen Liebe an seiner Kunst, trinkt in seinem kleinen Zimmer mit zwei Freunden Tee, spricht bescheiden über den geliebten Gegenstand und denkt niemals an einen Überfluß. So ein Künstler lädt irgendeine alte Bettlerin zu sich ein und zwingt sie geschlagene sechs Stunden zu sitzen, um ihre elende, ausdruckslose Miene auf die Leinwand zu bannen. Er zeichnet die perspektivische Ansicht seines Zimmers, in dem allerhand künstlerisches Gerümpel herumliegt: Hände und Füße aus Gips, die durch die Zeit und den Staub kaffeebraun geworden sind, zerbrochene Staffeleien, eine
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