Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Überzeugung, daß er in eine ekelhafte Spelunke geraten war, wo das von der oberflächlichen Bildung und der schrecklichen Übervölkerung der Hauptstadt gezeugte elende Laster nistete, in eine Behausung, wo der Mensch alles Reine und Heilige, was das Leben schmückt, gotteslästerlich erdrückt und verspottet hat, wo die Frau, diese Zierde der Welt, diese Krone der Schöpfung sich in ein seltsames, doppelsinniges Geschöpf verwandelt, wo sie zugleich mit der Reinheit der Seele alles Weibliche eingebüßt und sich alle ekelhaften Manieren und die Frechheit des Mannes angeeignet und schon aufgehört hat, jenes schwache, jenes herrliche, und von uns so verschiedene Wesen zu sein. Piskarjow maß sie vom Kopf bis zu den Füßen mit seinen erstaunten Blicken, als wollte er sich überzeugen, ob es dieselbe sei, die ihn auf dem Newskij-Prospekt bezaubert und hingerissen hatte. Aber sie stand vor ihm noch ebenso schön; ebenso schön waren noch ihre Haare und ebenso himmlisch schienen ihre Augen. Sie war noch recht frisch; sie war erst siebzehn Jahre alt; man konnte ihr ansehen, daß sie erst vor kurzer Zeit von dem schrecklichen Laster ergriffen worden war: es wagte noch nicht an ihren Wangen zu rühren, sie waren noch frisch und leicht gerötet; sie war schön.
Er stand unbeweglich vor ihr und war schon bereit, sich ebenso einfältigen Träumereien hinzugeben wie früher. Aber dieses lange Schweigen langweilte die Schöne, und sie lächelte vielsagend, ihm gerade in die Augen blickend. Doch dieses Lächeln war von einer eigenen, elenden Frechheit erfüllt: es war so seltsam und paßte ebenso zu ihrem Gesicht, wie der Ausdruck von Frömmigkeit zu der Fratze eines Wucherers oder ein Kontobuch zu einem Dichter. Er erbebte. Sie öffnete ihren hübschen Mund und begann etwas zu sprechen, aber es war so dumm, so abgeschmackt … Es war, als ob zugleich mit der Unschuld auch der Verstand den Menschen verließe! Er wollte nichts hören. Er war außerordentlich komisch und einfältig wie ein Kind. Statt dieses Wohlwollen auszunützen, statt sich über diesen Zufall zu freuen, wie sich an seiner Stelle wohl jeder andere gefreut haben würde, stürzte er wie eine Gazelle aus dem Zimmer und lief auf die Straße.
Mit gesenktem Kopf und herabhängenden Armen saß er in seinem Zimmer wie ein Bettler, der eine kostbare Perle gefunden und sie gleich wieder ins Meer hat fallen lassen. »Eine solche Schönheit, so göttliche Züge! Und wo? An welchem Ort? …« Das war alles, was er sagen konnte.
In der Tat, nie empfinden wir schmerzvolleres Mitleid als beim Anblick einer Schönheit, die vom verderblichen Odem des Lasters berührt worden ist. Wenn sich zum Laster noch die Häßlichkeit gesellt; aber die Schönheit, eine zarte Schönheit … Wir können sie in unseren Gedanken doch nur mit Sündlosigkeit und Reinheit verbinden. Die Schöne, die den armen Piskarjow so bezaubert hatte, war in der Tat eine wunderbare, ungewöhnliche Erscheinung. Ihre Anwesenheit in dieser verächtlichen Gesellschaft schien um so ungewöhnlicher. Alle ihre Züge waren so rein geformt, der ganze Ausdruck des schönen Gesichts war von solchem Adel gezeichnet, daß man sich unmöglich denken konnte, das Laster hätte schon seine schrecklichen Krallen in sie geschlagen. Sie hätte für einen leidenschaftlichen Gatten eine kostbare Perle, eine ganze Welt, ein ganzes Paradies, ein ganzer Reichtum sein können; sie wäre ein herrlicher, stiller Stern in einem bescheidenen Familienkreise, wo sie mit einer einzigen Bewegung ihrer herrlichen Lippen süße Befehle erteilen würde. Sie könnte eine Gottheit in einem überfüllten Saale sein, auf dem strahlenden Parkett, im Scheine der Kerzen, unter der stummen Andacht der zu ihren Füßen liegenden Schar von Verehrern. Aber ach! der schreckliche Wille eines Höllengeistes, der danach strebt, die Harmonie des Lebens zu stören, hatte sie mit Hohngelächter in diesen schrecklichen Abgrund geworfen.
Von einem herzzerreißenden Mitleid erfüllt, saß er vor der heruntergebrannten Kerze. Die Mitternacht war längst vorüber, die Turmuhr schlug halb eins, er aber saß unbeweglich, schlaflos, untätig. Der Schlummer benützte seine Unbeweglichkeit und fing schon an, sich seiner langsam zu bemächtigen, das Zimmer fing an zu verschwinden, nur noch die Kerzenflamme allein leuchtete durch die Visionen, als plötzlich ein Klopfen an der Türe ihn auffahren und zu sich kommen ließ. Die Tür ging auf, und ein Lakai in reicher
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