Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Dache, ein Schilderhäuschen fiel auf ihn nieder, und die Hellebarde des Schutzmanns schien zugleich mit den goldenen Lettern des Ladenschildes und der gemalten Schere auf der Wimper seines Auges zu glänzen. Dies alles hatte ein einziger Blick, eine einzige Wendung des hübschen Köpfchens bewirkt. Ohne etwas zu hören, zu sehen und zu verstehen, folgte er den leichten Spuren der schönen Füßchen und bemühte sich, die Schnelligkeit seiner Schritte zu hemmen, die sich im gleichen Takte wie sein Herz bewegten. Zuweilen packte ihn ein Zweifel, ob ihr Gesichtsausdruck in der Tat so wohlwollend gewesen sei, und dann blieb er für einen Augenblick stehen; aber das Herzklopfen, eine unüberwindliche Gewalt und die Aufregung aller seiner Gefühle trieben ihn vorwärts. Er bemerkte sogar nicht, wie vor ihm plötzlich ein vierstöckiges Haus auftauchte, wie alle vier erleuchteten Fensterreihen ihn zugleich anblickten und wie das Geländer vor der Einfahrt ihn eisern abwehrte. Er sah wie die Unbekannte die Treppe hinaufflog, wie sie sich umwandte, den Finger auf die Lippen legte und ihm bedeutete, ihr zu folgen. Seine Knie zitterten, seine Gedanken glühten; ein Blitz der Freude durchzuckte sein Herz: Nein, es war kein Traum mehr! Gott, wieviel Freude in einem einzigen Augenblick! Ein so herrliches Leben in diesen zwei Minuten!
Aber war das alles kein Traum? War denn sie, für deren himmlischen Blick allein er sein ganzes Leben hingeben könnte, in der Nähe deren Wohnung zu sein er schon für eine unsagbare Seligkeit hielt, war sie denn ihm soeben wirklich so wohl gewogen? Er flog die Treppe hinauf. Er empfand keinen einzigen irdischen Gedanken, er war nicht von der Flamme einer irdischen Leidenschaft entzündet, – nein, er war in diesem Augenblick rein und sündlos wie ein keuscher Jüngling, der noch das ungewisse, geistige Bedürfnis nach Liebe atmet. Das, was in einem verdorbenen Menschen kühne Wünsche geweckt haben würde, das heiligte seine Gedanken noch mehr. Dieses Vertrauen, das ihm dieses schwache, schöne Geschöpf entgegenbrachte, dieses Vertrauen hatte ihm das Gebot einer strengen Ritterlichkeit auferlegt, das Gelübde, alle ihre Befehle sklavisch zu befolgen. Er wollte nur, daß diese Befehle möglichst schwer und unerfüllbar seien, damit er sie mit einer noch größeren Anspannung seiner Kräfte befolgen könnte. Er zweifelte nicht daran, daß irgend ein geheimes und zugleich wichtiges Ereignis die Unbekannte bewogen hatte, sich ihm anzuvertrauen; daß sie von ihm irgendwelche wichtige Dienste verlangen würde, und er fühlte schon in sich eine Kraft und eine Entschlossenheit, alles zu wagen.
Die Treppe wand sich hinauf, und zugleich mit ihr wanden sich seine schnellen Gedanken. »Vorsichtiger!« erklang wie eine Harfe ihre Stimme und erfüllte alle seine Adern mit einem neuen Beben. In der dunklen Höhe des vierten Stockes klopfte die Unbekannte an die Tür; die Tür öffnete sich, und sie traten zusammen ein. Eine Frau von gar nicht üblem Aussehen empfing sie mit der Kerze in der Hand und sah Piskarjow so sonderbar und so frech an, daß er unwillkürlich seine Augen niederschlug. Sie traten in ein Zimmer. Drei weibliche Gestalten in drei verschiedenen Ecken boten sich seinen Blicken. Die eine legte Karten; die andere saß am Pianino und spielte mit zwei Fingern eine Art alte Polonäse; die dritte saß vor einem Spiegel, kämmte mit einem Kamme ihr langes Haar und dachte gar nicht daran, beim Eintritt eines Unbekannten diese Beschäftigung zu unterbrechen. Eine eigentümliche, unangenehme Unordnung, wie man sie nur im Zimmer eines gleichgültigen Junggesellen trifft, herrschte hier überall. Die recht guten Möbelstücke waren von Staub bedeckt; die Spinne hatte die Stuckverzierungen des Plafonds mit ihrem Gewebe überzogen; durch die halbgeöffnete Tür sah man im Nebenzimmer einen mit einem Sporn versehenen Stiefel und den roten Vorstoß einer Uniform leuchten; eine laute Männerstimme und weibliches Lachen klangen ganz ungezwungen.
Mein Gott, wo war er hingeraten! Anfangs wollte er seinen Wahrnehmungen nicht trauen und musterte aufmerksamer die Gegenstände, die das Zimmer füllten; aber die kahlen Wände und die Fenster ohne Vorhänge wiesen auf das Fehlen einer sorgenden Hausfrau hin; die abgelebten Gesichter dieser elenden Geschöpfe, von denen sich das eine dicht vor seiner Nase hinsetzte und ihn ebenso ruhig betrachtete, wie einen Fleck auf einem fremden Kleide, – dies alles gab ihm die
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