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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Wetter mit ungewöhnlichem Anstand und einem ungewöhnlichen Gefühl für eigene Würde sprechen. Hier begegnet man Tausenden von unfaßbaren Charakteren und Erscheinungen. Du lieber Gott, was für seltsame Charaktere trifft man auf dem Newskij-Prospekt! Es gibt hier eine Menge von solchen Menschen, die bei einer Begegnung mit Ihnen unbedingt auf Ihre Stiefel schauen, und, wenn Sie vorbeigegangen sind, sich umwenden, um sich Ihre Rockfalten anzusehen. Ich kann bis jetzt nicht begreifen, woher das kommt. Ich hatte anfangs geglaubt, es seien lauter Schuhmacher, aber das entspricht durchaus nicht den Tatsachen: sie sind zum größten Teil an allerlei Departements angestellt, viele von ihnen sind imstande, ein amtliches Schreiben von einer Amtsstelle an eine andere bestens abzufassen; oder es sind Menschen, die sich mit Spazierengehen und mit dem Lesen von Zeitungen in Konditoreien beschäftigen, – mit einem Worte, es sind zum größten Teil anständige Menschen. In dieser gesegneten Zeit zwischen 2 und 3 Uhr nachmittags, die man die Zeit der Bewegung der ganzen Hauptstadt nennen kann, findet die Hauptausstellung der besten menschlichen Erzeugnisse statt: der eine zeigt einen eleganten Überrock mit dem schönsten Biberkragen; der andere eine herrliche griechische Nase; der dritte trägt einen wunderbaren Backenbart zur Schau; die vierte ein Paar schöne Augen und einen wunderbaren Hut; der fünfte – einen Ring mit einem Talisman auf dem gepflegten kleinen Finger; die sechste – ein Füßchen in einem entzückenden Schuh; der siebente – eine staunenswerte Krawatte; der achte – einen verblüffenden Schnurrbart. Aber es schlägt drei, die Ausstellung ist zu Ende, die Menge verzieht sich … Um 3 Uhr ist eine neue Veränderung. Auf dem Newskij-Prospekt bricht plötzlich der Frühling an: er wimmelt auf einmal ganz von Beamten in grünen Uniformröcken. Die hungrigen Titular-, Hof- und sonstigen Räte bemühen sich, ihre Schritte zu beschleunigen. Die jungen Kollegien-Registratoren, die Gouvernements- und Kollegien-Sekretäre beeilen sich, die Zeit auszunützen und einmal durch den Newskij-Prospekt mit einer Miene zu gehen, als hätten sie beileibe nicht sechs Stunden in der Kanzlei gesessen. Aber die alten Kollegien-Sekretäre, Titular- und Hofräte gehen schnell mit gesenkten Köpfen: sie haben andere Dinge im Sinn, als die Spaziergänger zu mustern; sie haben sich von ihren Sorgen noch nicht ganz losgerissen; in ihren Köpfen ist ein Wirrwarr, ein ganzes Archiv begonnener und nicht beendeter Amtsgeschäfte; statt der Ladenschilde sehen sie lange Zeit nur Aktenschachteln oder das runde Gesicht des Kanzleivorstandes vor sich.
    Von 4 Uhr ab ist der Newskij-Prospekt leer, und man kann auf ihm kaum noch einem Beamten begegnen. Man sieht höchstens eine Näherin aus dem Wäschegeschäft, die mit einem Karton in den Händen über den Newskij-Prospekt läuft; irgendein unglückliches Opfer eines menschenfreundlichen Winkeladvokaten, das nun in seinem Friesmantel betteln gehen kann; irgendeinen zugereisten Sonderling, dem alle Stunden gleich sind; irgendeine lange Engländerin mit einem Strickbeutel und einem Buch in der Hand; einen Geschäftsdiener, einen Russen im baumwollenen Rock, mit hoher Taille und einem dünnen Bärtchen, der immer auf dem Sprung lebt und an dem sich alles bewegt: der Rücken, die Arme, die Beine und der Kopf, wenn er bescheiden über das Trottoir geht; manchmal auch einen armen Handwerker … sonst begegnet man um diese Stunde auf dem Newskij-Prospekt niemand.
    Sobald sich aber die Dämmerung auf die Häuser und die Straßen senkt, wenn der in eine Bastmatte gehüllte Nachtwächter auf die Leiter steigt, um die Laternen anzuzünden und in den niederen Ladenfenstern solche Stiche erscheinen, die sich am Tage nicht zu zeigen trauen, – dann wird der Newskij-Prospekt wieder lebendig und beginnt sich zu regen. Dann bricht jene geheimnisvolle Stunde an, wo die Lampen allen Dingen ein verlockendes, wunderbares Licht verleihen. Man begegnet vielen jungen Leuten, zum größten Teil Junggesellen, in warmen Röcken und Mänteln. Um diese Zeit läßt sich ein gewisses Ziel vermuten, oder, besser gesagt, etwas, was einem Ziele ähnlich sieht, etwas außerordentlich Unbewußtes; alle Schritte werden beschleunigt und werden überhaupt ungleichmäßig; lange Schatten gleiten über die Mauern und das Pflaster und erreichen mit ihren Köpfen beinahe die Polizeibrücke. Die jungen

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