Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
seine Suppe; an Sonntagen wurde diese Regel übrigens nicht so streng befolgt, denn Schiller trank an diesem Tage zwei Flaschen Bier und eine Flasche Kümmel, auf den er übrigens immer schimpfte. Er trank ganz anders als ein Engländer, der gleich nach dem Mittagessen seine Türe zuriegelt und sich ganz allein betrinkt. Als Deutscher trank er vielmehr immer mit Begeisterung und in Gesellschaft des Schuhmachermeisters Hoffmann oder des Tischlermeisters Kunz, der ebenfalls ein Deutscher und ein großer Säufer war. So war der Charakter des edlen Schiller, der schließlich in eine äußerst schwierige Lage geraten war. Er war zwar Phlegmatiker und ein Deutscher, aber die Handlungsweise Pirogows erregte in ihm zuletzt etwas wie Eifersucht. Er zerbrach sich den Kopf und konnte doch nichts ausdenken, auf welche Weise er sich von diesem russischen Offizier befreien konnte. Pirogow rauchte indessen im Kreise seiner Kameraden die Pfeife – die Vorsehung selbst hat es schon einmal so eingerichtet, daß Offiziere und Pfeife unzertrennlich sind – er rauchte also im Kreise seiner Kameraden die Pfeife und spielte mit bedeutungsvoller Miene und einem angenehmen Lächeln auf das Techtelmechtel mit einer hübschen Deutschen an, mit der er schon sehr intim zu sein behauptete, während er in Wirklichkeit fast jede Hoffnung aufgegeben hatte, sie jemals zu erobern.
Eines Tages spazierte er durch die Mjeschtschanskaja und blickte immer wieder auf das Haus, an dem das Schild Schillers mit den Kaffeekannen und den Samowars prangte; zu seiner größten Freude erblickte er das Köpfchen der Blondine, die sich aus einem Fenster beugte und die Vorübergehenden musterte. Er blieb stehen, warf einen Handkuß hinauf und rief: »Guten Morgen!« Die Blondine nickte ihm wie einem Bekannten zu.
»Ist Ihr Mann eigentlich zu Hause?«
»Er ist zu Hause,« antwortete die Blondine.
»Und wann ist er nicht zu Hause?«
»An Sonntagen pflegt er nicht zu Hause zu sein,« antwortete die einfältige Blondine.
– Das ist nicht schlecht – dachte Pirogow bei sich – diesen Umstand müßte man ausnützen. – Am folgenden Sonntag schneite er zu der Blondine ins Haus hinein. Schiller war tatsächlich nicht zu Hause. Die hübsche Hausfrau erschrak; aber Pirogow ging diesmal sehr vorsichtig vor. Er behandelte sie mit dem größten Respekt und zeigte, indem er sich verbeugte, die ganze Schönheit seiner biegsamen, enggeschnürten Taille. Er scherzte sehr nett und höflich, aber die dumme Deutsche antwortete ihm auf alles sehr einsilbig. Nachdem er alles Mögliche versucht und eingesehen hatte, daß er sie für nichts zu interessieren vermochte, machte er ihr schließlich den Vorschlag, etwas zu tanzen. Die Deutsche erklärte sich damit augenblicklich einverstanden, denn alle deutschen Frauen und Mädchen tanzen überaus gern. Pirogow gründete darauf viele Hoffnungen: erstens machte ihr das Vergnügen; zweitens konnte er dabei seine ganze Gewandtheit und Geschicklichkeit zeigen; drittens kann man beim Tanzen leicht intim werden: man kann die hübsche Deutsche umarmen und damit den Anfang machen; kurz, er hoffte auf einen vollständigen Erfolg. Er fing an, eine Gavotte zu trällern, denn er wußte, daß man bei deutschen Frauen und Mädchen ganz allmählich vorgehen müsse. Die hübsche Deutsche trat in die Mitte des Zimmers und hob das schöne Füßchen. Diese Stellung entzückte Pirogow dermaßen, daß er über sie herfiel, um sie zu küssen; die Deutsche fing zu schreien an und erhöhte dadurch ihren Reiz in den Augen Pirogows. Er überschüttete sie mit Küssen, als plötzlich die Tür aufging, und Schiller in Begleitung Hoffmanns und des Tischlermeisters Kunz ins Zimmer trat. Diese ehrwürdigen Handwerker waren alle so betrunken wie die Schuster.
Aber … ich überlasse es den Lesern selbst, sich den Zorn und die Entrüstung Schillers auszumalen.
»Rohling!« schrie er in höchster Empörung: »Wie wagst du es, meine Frau zu küssen? Du bist ein Schuft und kein russischer Offizier. Hol mich der Teufel! Nicht wahr, mein Freund Hoffmann? Ich bin ein Deutscher und kein russisches Schwein.« (Hoffmann antwortete bejahend.) »Oh, ich will keine Hörner tragen! Mein Freund Hoffmann, pack ihn am Kragen; ich will nicht!« fuhr er fort, heftig mit den Händen fuchtelnd, wobei sein Gesicht dem roten Tuche seiner Weste ähnlich wurde. »Ich lebe seit acht Jahren in Petersburg, ich habe in Schwaben eine Mutter und in Nürnberg einen Onkel; ich bin ein
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