Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
eigenen Anstand: »Entschuldigen Sie bitte …«
»Marsch hinaus!« antwortete Schiller gedehnt.
Dies verdutzte den Leutnant Pirogow. Eine solche Behandlung war ihm ganz neu. Das Lächeln, das auf seinem Gesicht gespielt hatte, war plötzlich verschwunden. Er sagte mit dem Gefühl gekränkter Würde: »Es kommt mir so merkwürdig vor, mein Herr … Sie haben es wohl nicht bemerkt … ich bin Offizier …«
»Was ist ein Offizier! Ich bin ein deutscher Schwabe. Ich selbst,« – Schiller schlug hierbei mit der Faust auf den Tisch – »ich selbst werde Offizier sein: anderthalb Jahre Junker, zwei Jahre Leutnant, und ich bin gleich morgen Offizier. Aber ich will nicht dienen! Mit einem Offizier mache ich es so: pfff!« Schiller hielt sich bei diesen Worten die Hand vor den Mund und blies darauf.
Der Leutnant Pirogow merkte, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als sich zu entfernen; aber diese Behandlung, die für seinen Dienstgrad so beleidigend war, berührte ihn unangenehm. Er blieb auf der Treppe einige Male stehen, als wollte er Mut fassen und sich überlegen, auf welche Weise er Schiller seine Frechheit heimzahlen könnte. Schließlich sagte er sich, daß er Schiller entschuldigen könne, da sein Kopf so von Bier- und Weindämpfen angefüllt sei; zudem erinnerte er sich der hübschen Blondine, und er entschloß sich, die Angelegenheit zu vergessen. Am nächsten Tage erschien der Leutnant Pirogow früh des Morgens in der Klempnerwerkstätte Schillers. Im Vorzimmer empfing ihn die hübsche Blondine und fragte mit ziemlich strenger Stimme, die zu ihrem Gesichtchen so gut paßte: »Was wünschen Sie?«
»Ah, guten Morgen, meine Schöne! Haben Sie mich nicht erkannt? Dieser Schelm, diese hübschen Äuglein!«
Bei diesen Worten versuchte Pirogow mit artiger Gebärde ihr Kinn zu fassen; aber die Blondine schrie erschrocken auf und fragte ebenso streng: »Was wünschen Sie?«
»Nur Sie zu sehen, sonst wünsche ich nichts,« sagte der Leutnant Pirogow mit einem recht liebenswürdigen Lächeln und ging auf sie zu; als er aber merkte, daß die scheue Blondine durch die Türe schlüpfen wollte, fügte er hinzu: »Meine Liebe, ich muß mir Sporen machen lassen. Können Sie mir Sporen anfertigen? Um Sie zu lieben, braucht man übrigens keine Sporen, sondern eher einen Zaum. Was für hübsche Händchen!«
Der Leutnant Pirogow war bei Erklärungen dieser Art immer außergewöhnlich liebenswürdig.
»Ich will gleich meinen Mann rufen,« rief die Deutsche und ging hinaus. Nach ewigen Minuten erblickte Pirogow Schiller, der mit verschlafenen Augen vor ihn trat; er schien den gestrigen Rausch noch nicht ganz ausgeschlafen zu haben. Als er den Offizier erblickte, erinnerte er sich an die Vorgänge von gestern wie an einen Traum. Seine Erinnerungen entsprachen zwar in keiner Weise der Wirklichkeit, aber er fühlte, daß er irgendeine Dummheit begangen hatte, und trat daher dem Offizier mit sehr strenger Miene entgegen. »Ich kann für die Sporen nicht weniger als fünfzehn Rubel verlangen,« sagte er, um Pirogow loszuwerden, denn es war ihm, als einem ordentlichen Deutschen sehr unangenehm, einen Menschen vor sich zu haben, der ihn in einer unanständigen Verfassung gesehen hatte. Schiller liebte es, ganz ohne Zeugen, mit nur zwei oder drei Freunden zu trinken und schloß sich sogar von seinen Gesellen ab.
»Warum denn so teuer?« fragte Pirogow freundlich.
»Es ist eben deutsche Arbeit,« versetzte Schiller kaltblütig, sich das Kinn streichelnd. »Ein Russe wird es wohl für zwei Rubel machen.«
»Schön, um Ihnen zu zeigen, daß ich Sie liebe und Ihre Bekanntschaft machen möchte, will ich die fünfzehn Rubel bezahlen.«
Schiller sann eine Minute lang nach: als ehrlicher Deutscher hatte er doch Gewissensbisse. Um Pirogow zu bewegen, den Auftrag zurückzuziehen, erklärte er, er könne die Sporen nicht früher als in zwei Wochen herstellen. Aber Pirogow erklärte sich ohne Widerspruch damit einverstanden.
Der Deutsche wurde wieder nachdenklich und überlegte sich, wie diese Arbeit so auszuführen, daß sie wirklich fünfzehn Rubel wert sei.
In diesem Augenblick trat die Blondine in die Werkstätte und suchte etwas auf dem Tisch, auf dem die vielen Kaffeekannen standen. Der Leutnant benutzte Schillers Versunkenheit, ging auf sie zu und drückte ihren Arm, der bis zur Schulter entblößt war.
Das gefiel Schiller gar nicht. »Frau!« schrie er.
»Was wollen Sie denn?« entgegnete die Blondine.
»Geh in die
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