Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Schöne und erwies dem Maler Piskarjow seine Gunst; dies kam vielleicht auch daher, weil er zu gerne sein männliches Antlitz auf einem Bilde abkonterfeit gesehen hätte. Aber genug von den Eigenschaften Pirogows. Der Mensch ist ein so merkwürdiges Geschöpf, daß es ganz unmöglich ist, alle seine Vorzüge auf einmal darzulegen; je genauer man ihn betrachtet, um so mehr neue Eigenschaften entdeckt man an ihm, so daß man mit der Aufzählung nie zu Ende käme. Pirogow verfolgte also unausgesetzt die Unbekannte und unterhielt sie ab und zu mit Fragen, die sie nur selten, kurz und mit unartikulierten Lauten beantwortete. Sie gelangten durch das nasse Kasantor in die Mjeschtschanskaja-Straße – die Straße der Tabak- und Kramläden, der deutschen Handwerker und der finnischen Nymphen. Die Blondine beschleunigte ihre Schritte und schlüpfte in das Tor eines ziemlich schmierigen Hauses. Pirogow folgte ihr. Sie lief eine enge, dunkle Treppe hinauf und trat in eine Tür, durch die ihr auch Pirogow kühn folgte. Er sah sich in einem großen Zimmer mit schwarzen Wänden und verräucherter Decke. Auf dem Tische lag ein Haufen eiserner Schrauben, Schlosserwerkzeuge, glänzender Kaffeekannen und Leuchter; der Fußboden war mit Messing- und Eisenspänen bedeckt. Pirogow merkte sofort, daß es die Wohnung eines Handwerkers war. Die Unbekannte flatterte graziös wie ein Vogel in eine Seitentüre. Pirogow besann sich einen Augenblick, entschloß sich aber dann, der russischen Regel zu folgen und weiter vorzudringen. Er kam in ein anderes Zimmer, das dem ersten gar nicht glich: es war sauber und ordentlich, was darauf hinwies, daß der Wirt ein Deutscher war. Pirogow sah vor sich ein Bild, das ihn in Erstaunen versetzte. Vor ihm saß Schiller – nicht der Schiller, der den »Wilhelm Tell« und die »Geschichte des Dreißigjährigen Krieges« geschrieben hatte, sondern der bekannte Klempnermeister Schiller aus der Mjeschtschanskaja-Straße. Neben Schiller stand Hoffmann, nicht der Dichter Hoffmann, sondern der recht tüchtige Schuhmachermeister aus der Offiziersstraße, ein großer Freund Schillers. Schiller saß betrunken auf einem Stuhle, stampfte mit dem Fuß und sprach etwas mit großem Eifer. Dies alles hätte Pirogow noch nicht so sehr in Erstaunen gesetzt, wie die außerordentlich seltsame Stellung dieser beiden Personen. Schiller saß da mit erhobenem Kopf, die ziemlich dicke Nase vorgestreckt, und Hoffmann hielt diese Nase mit zwei Fingern fest und bewegte die Schneide seines Schuhmachermessers auf der Oberfläche der Nase. Die beiden Herren sprachen deutsch, und darum konnte der Leutnant Pirogow, der von der deutschen Sprache nur »guten Morgen« verstand, von der ganzen Sache nichts verstehen. Schiller sagte übrigens, heftig gestikulierend, folgendes: »Ich will sie nicht, ich brauche die Nase nicht! Die Nase allein kostet mich drei Pfund Tabak im Monat. Ich zahle im schlechten russischen Laden, denn im deutschen Laden gibt es keinen russischen Tabak –, ich zahle im schlechten russischen Laden für jedes Pfund vierzig Kopeken; das macht im Monat einen Rubel und zwanzig Kopeken; zwölf mal ein Rubel zwanzig Kopeken macht vierzehn Rubel vierzig Kopeken. Hörst du, mein Freund Hoffmann? Für die Nase allein schnupfe ich aber Rapé, denn ich will nicht an Feiertagen schlechten russischen Tabak schnupfen. Im Jahre verschnupfe ich zwei Pfund Rapé, zu zwei Rubel das Pfund. Sechs Rubel und vierzehn Rubel vierzig Kopeken macht zwanzig Rubel vierzig Kopeken für den Tabak allein! Das ist ja Raub am hellichten Tag! Ich frage dich, mein Freund Hoffmann, habe ich nicht recht?« Hoffmann, der auch selbst betrunken war, antwortete bejahend. – »Zwanzig Rubel vierzig Kopeken! Ich bin ein Schwabe; ich habe in Deutschland einen König. Ich will die Nase nicht! Schneide mir die Nase ab! Hier ist meine Nase!«
Wenn nicht das plötzliche Erscheinen des Leutnants Pirogow, so hätte Hoffmann seinem Freund Schiller zweifellos so mir nichts, dir nichts die Nase abgeschnitten, denn er hielt das Messer schon so in der Hand, als wollte er eine Sohle zuschneiden.
Schiller ärgerte sich sehr darüber, daß eine unbekannte, ungebetene Person so ungelegen dazwischenkam. Obwohl er sich im angenehmen Zustande des Bier- und Weinrausches befand, fühlte er doch, daß die Anwesenheit eines fremden Zeugen in dieser Situation und bei dieser Beschäftigung etwas unpassend sei. Pirogow machte indessen eine leichte Verbeugung und sagte mit dem ihm
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