Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
unangenehmer Wind schlug mir ins Gesicht. Das war definitiv kein Wetter, um draußen zu sein. Ich zitterte in meiner dünnen Jacke und verbrachte die Zeit damit, gleichzeitig Artie zuzuhören und die Häuser zu bewundern, die für Halloween geschmückt waren.
Schließlich erreichten wir die Post, wo Artie sein Päckchen aufgab. Ich betrachtete die verschiedenen winzigen Restaurants auf der Main Street und fragte mich, in welchem von ihnen wir zu Abend essen würden. Ich war am Verhungern. Ich hatte das Mittagessen völlig verschwitzt, weil ich derart in meine Lehrbücher vertieft gewesen war. Bei dem Geruch von chinesischem Essen, der zu uns wehte, lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Als Artie endlich wieder ins Freie trat, war es wirklich kalt geworden. Ich klatschte in die Hände und rieb sie aneinander, damit sie warm wurden. Hätte ich gewusst, dass unser Date draußen stattfand, hätte ich Handschuhe mitgebracht. Wie sich herausstellte, hatte Artie ein Paar Lederhandschuhe in der Tasche, aber er zog sie selbst an.
Mein masochistisch veranlagter Verstand rieb mir unter die Nase, dass er mir seine Handschuhe überlassen hätte. Verflucht, er hätte mir sein letztes Hemd gegeben!
»Und, wohin geht’s jetzt?«, fragte ich. Meine Augen husch ten hoffnungsvoll zu einem chinesischen Restaurant.
»Zurück zum Campus. Ich habe eine echte Überraschung für dich.«
Ich versuchte, mir ein enthusiastisches Lächeln abzuringen. »Das ist … toll.«
Auf dem langen Weg zurück zum Campus redete Artie ausschweifend über sich selbst. Er erzählte von seiner Kindheit und seiner Familie. In aller Ausführlichkeit beschrieb er die Preise, die er gewonnen hatte, und seine Arbeit als Vorsitzender von fünf Klubs, einschließlich des Schachklubs. Er stellte mir keine einzige Frage. Es hätte mich überrascht, hätte er überhaupt meinen Nachnamen gekannt.
Meine Gedanken wanderten zu einer Unterhaltung mit einem völlig anderen Mann.
Ich hörte seine warme, betörende Stimme. Auf einmal stand ich unter einem Baum. Dem Baum, unter dem ich mich von ihm verabschiedet hatte. Dem Baum, unter dem ich ein letztes Mal in seine kobaltblauen Augen geblickt hatte. Der kalte, beißende Wind Oregons legte sich, und ich spürte, wie mir eine wohltuende indische Sommerbrise sanft durchs Haar strich. Der graue, bedeckte Abend löste sich auf, ich blickte zu funkelnden Sternen am nächtlichen Himmel hinauf. Er berührte mein Gesicht und sagte:
»Kelsey, es ist unbestreitbar … Ich liebe dich, und das schon seit geraumer Zeit. Ich möchte nicht, dass du gehst. Bitte … bitte … bitte … Sag, dass du bei mir bleibst.«
Er war so wunderschön gewesen. Wie hatte ich ihm etwas verweigern können, wo er noch dazu nichts weiter wollte als mich?
»Ich möchte dir ein Geschenk machen. Es ist ein Fußkettchen. Sie sind hier sehr beliebt, und ich habe dieses für dich ausgewählt, damit wir nie wieder nach einer Glocke suchen müssen.«
Mein Knöchel kribbelte bei der Erinnerung, wie seine Fin ger meine Haut berührt hatten.
»Kells, bitte. Ich brauche dich.«
Wie hatte ich ihn nur verlassen können?
Während Artie bis ins kleinste Detail beschrieb, wie er im Alleingang den Debattierwettbewerb gewonnen hatte, schalt ich mich, weil ich meine Gedanken an einen solch gefährlichen Ort hatte schweifen lassen. Selbst wenn ich Bedenken hatte, ob es richtig gewesen war, ihn zu verlassen, so hatte er mich nicht angerufen. Das bewies doch, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, oder etwa nicht? Falls er mich wirklich so sehr liebte, wie er behauptet hatte, hätte er mich angerufen. Er hätte nicht locker gelassen. Er wäre mir gefolgt. Aber nein – er brauchte seine Freiheit. Es war richtig gewesen, ihn zu verlassen. Vielleicht konnte mein Herz jetzt heilen und ihn loslassen.
Ich zerrte meine Aufmerksamkeit zurück zu Artie und gab mir die größte Mühe, seinen Worten zu lauschen. Aber es war völlig undenkbar, dass Artie der richtige Mann für mich war – im Grunde für jedes Mädchen. Das bedeutete jedoch nicht, dass meine Situation aussichtslos war. Da war immer noch das Date mit Jason morgen und eines mit Li nächste Woche.
Als Artie und ich zurück auf dem Campus waren, knurrte mein Magen so laut, dass er im Umkreis von drei Blocks zu hören war. Ich hoffte inständig, dass wir bald etwas im Campuscafé essen würden.
Er führte mich zum Multimediaraum der Hamersly Library, fragte nach zwei Kopfhörern und reichte der Dame
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