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Pfade Ins Zwielicht

Pfade Ins Zwielicht

Titel: Pfade Ins Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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würde es das Henkersseil sein.
    Er schob das zur Hälfte gezogene Messer zurück in seinen linken Ärmel und rutschte von dem Felsen herunter. Er landete ungeschickt und wäre fast gefallen; der stechende Schmerz in seiner Hüfte ließ ihn beinahe das Gesicht verziehen. Aber nur beinahe. Sie war eine Adlige und ein Schiffskapitän, und sie versuchte oft genug, das Kommando zu übernehmen, ohne dass er auch noch irgendwelche Schwächen zeigen musste, die ihr einen weiteren Anlass gegeben hätten. Sie hatte ihn um Hilfe gebeten, nicht umgekehrt, aber das galt bei ihr nichts. Er lehnte sich mit verschränkten Armen an den Felsen und tat so, als würde er dort ganz gemütlich stehen, dabei trat er lässig nach abgestorbenen Grasbüscheln, um die schmerzenden Muskeln zu lockern. Das tat so weh, dass ihm trotz des kalten Windes der Schweiß ausbrach. Die Flucht im Sturm hatte seiner Hüfte geschadet, und noch hatte er nicht wieder an Boden gut gemacht.
    »Seid Ihr sicher, was das Meervolk angeht?«, fragte er sie. Sinnlos, den Mangel an Schiffen noch einmal zu erwähnen. Es hatten sich sowieso zu viele seanchanische Siedler von Ebou Dar aus ausgebreitet, und von Tanchico mussten es noch mehr sein. Wie viele Schiffe sie auch immer hatten, keine Macht auf der Welt würde jetzt noch alle Seanchaner wieder zurückwerfen können.
    Sie griff erneut nach der Perücke, zögerte, sah stirnrunzelnd ihre kurzen Fingernägel an und schob sich stattdessen die Hände unter die Achselhöhlen. »Was ist damit?« Sie wusste, dass er hinter dem Ausbruch der Windsucherinnen steckte, aber keiner von ihnen hatte es erwähnt. Sie bemühte sich immer zu vermeiden, über die Atha'an Miere zu sprechen. Einmal abgesehen von all den versunkenen Schiffen und den Toten war die Befreiung von Damane ein weiteres Verbrechen, auf das die Todesstrafe stand, darüber hinaus war es in den Augen der Seanchaner eine so widerwärtige Tat wie Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch. Natürlich hatte sie ebenfalls bei der Befreiung einiger Damane geholfen, allerdings gehörte das ihrer Meinung nach zu den geringsten ihrer Verbrechen.
    Dennoch mied sie auch dieses Thema. Es gab einige Themen, bei denen sie stumm blieb.
    »Seid Ihr sicher, was die Windsucherinnen betrifft, die man gefangen hat? Ich habe gehört, man will ihnen Hände oder Füße abhacken.« Mat schluckte einen bitteren Geschmack herunter. Er hatte Männer sterben sehen, hatte Männer mit eigenen Händen getötet. Das Licht sei ihm gnädig, er hatte sogar eine Frau getötet! Nicht einmal die finsterste Erinnerung der anderen Männer brannte so quälend heiß wie diese, dabei waren einige davon finster genug, um in Wein ertränkt werden zu müssen, wenn sie an die Oberfläche kamen. Aber der Gedanke, jemandem absichtlich die Hände abzuhacken, bereitete ihm Übelkeit.
    Egeanins Kopf zuckte herum, und einen Augenblick lang glaubte er, sie würde seine Frage ignorieren. »Ich wette, das Gerede kommt von Renna«, sagte sie abfällig. »Ein paar Sul'dam erzählen solchen Unsinn, um ungehorsame Damane zu ängstigen, die neu an der Leine sind, aber das hat schon seit sechshundert oder siebenhundert Jahren keiner mehr getan. Jedenfalls nicht viele, und Leute, die ihren Besitz nicht ohne Verstümmelungen im Griff haben, sind sowieso ... sei'mosiev.« Ihr Mund verzog sich vor Abscheu, aber es blieb unklar, ob wegen der Verstümmelung oder dem sei'mosiev.
    »Ob nun beschämt oder nicht, sie tun es«, fauchte er.
    Für einen Seanchaner bedeutete sei'mosiev mehr als nur beschämt zu sein, aber er bezweifelte, dass jemand, der einer Frau absichtlich die Hand abschnitt, ausreichend gedemütigt werden konnte, um sich deswegen umzubringen. »Gehört Suroth zu den ›wenigen‹?«
    Die Seanchanerin erwiderte seinen wütenden Blick mit der gleichen Intensität und stemmte die Fäuste in die Hüften, sie beugte sich mit gespreizten Beinen vor, als stände sie auf dem Deck eines Schiffes und wäre im Begriff, einen begriffsstutzigen Matrosen zu schelten.
    »Die Hochlady Suroth ist nicht die Besitzerin dieser Damane, Ihr dummer Bauer! Sie sind der Besitz der Kaiserin, möge sie ewig leben. Suroth könnte sich genauso gut die Adern aufschlitzen, wenn sie so etwas für eine kaiserliche Damane anordnet. Das heißt, falls sie so etwas überhaupt tun könnte; ich habe nie gehört, dass sie ihren Besitz schlecht behandelt. Ich will es mal so erklären, dass Ihr es auch versteht. Wenn Euer Hund wegläuft, dann verstümmelt Ihr

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