Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
Klassenkamerad ins Poesiealbum geschrieben: Liebe Paula, sei so schlau, werde niemals Ehefrau. Vor der Hochzeit kriegst du Rosen, nach der Hochzeit flickst du Hosen. Wo er recht hatte, hatte er recht.«
»Wie viele flickst du so am Tag?«
Paula brach in Lachen aus. Ihr sommersprossiges Gesicht glühte vom Wein, und sie war schon zu betrunken, um mit dem Reden aufhören zu können.
»Du arbeitest Tag für Tag gegen ein missmutiges Gesicht an. Hast nicht nur deinen eigenen Stress, sondern auch noch den deines Mannes. Musst in der perversen Bettwäsche schlafen, die deine Schwiegermutter euch zu Weihnachten schenkt.« Sie kicherte und steckte sich eine Zigarette an.
Katinka lächelte, als sie an ihre zukünftige Schwiegermutter dachte. Carla. Die leibliche Mutter ihres Freundes Tom. Sie hatten sich im vergangenen Sommer kennengelernt und von Herzen gern. Zwei verwandte Seelen, dachte Katinka, als sie sagte:
»Mein Liebster hat zwei Mütter.«
»Oh, mein Gott. Das wird dir die Heiligsprechung sichern.«
Sie lachten beide.
»Eine leibliche und eine Erziehermutter. Aber seine Erziehermutter ist schwer krank. Sie hatte einen Schlaganfall. Und sein Vater…« Katinka brach ab. Sie wollte das nicht erzählen. Nicht Paula, einer Frau, die sie erst seit ein paar Tagen kannte. Der verfluchte Wein, dachte Katinka und stand auf.
»He, nicht schwächeln!«, beschwerte sich Paula.
Katinka winkte ab und ging ins Bad. Sie stützte die Hände auf das Waschbecken und besah sich im Spiegel. Ob Tom ihr in diesem Zustand einen Heiratsantrag gemacht hätte? Verdammt, sie liebte ihn. Sie könnte keinen besseren kriegen, sie hatten gemeinsam schwere Zeiten gemeistert. Und doch steckte da der Zweifel wie ein Dorn in ihr. Sie konnten doch auch ohne Trauschein zusammenleben. Das bisschen Steuererleichterung bei gemeinsamer Veranlagung als Ehepaar brachte keine wirklichen Vorteile. Überhaupt, Ehepaar. Das klang so fest, so fixiert, so alt. So unglaublich spießig. So, wie sie nie hatte werden wollen.
Katinka füllte ihren Zahnputzbecher mit Leitungswasser und trank in langen Zügen. Wusch sich das Gesicht kalt ab. Jetzt fühlte sie sich besser. Sie musste mit dem Chianti aufhören. Der Wein tat ihr nicht gut, er machte die Gedanken dickflüssig und traurig, so wie er die Wände verrutschte, wenn sie genau hinzusehen versuchte.
»Spielverderberin«, murrte Paula, als Katinka mit ihrem Wasserglas aus dem Bad kam.
»Denkst du, ich will morgen alles doppelt sehen?«
»In ein paar Stunden verliert sich das.«
Katinka musterte Paula verstohlen. Ihre Weinseligkeit roch nach Sucht, nach Verzweiflung und über Jahre mitgeschleppten Problemen.
»Wer ist denn der Göttliche, den du ehelichen willst?«, fragte Paula. Ihre Augen funkelten.
»Er ist schon o.k.«
»Du, ›o.k.‹ ist aber kein Garant für eine Ehe. ›O.k.‹ ist die Mindestanforderung. Sex und so, passt das?«
Katinka kippte das Fenster. Sie hatte Sehnsucht nach einem Spaziergang durch das stille Dorf.
»Monogamie ist eine beschissene Erfindung«, dozierte Paula. »Warum soll man sich im Sex auf einen Partner festlegen? Wegen Aids etwa? Dass ich nicht lache!«
»Aus Liebe.«
Paula prustete los und versprühte Rotwein auf dem Hotelteppich.
»Liebe. Verrate mir, Privatdetektivin Katinka, was ist Liebe?«
Katinka antwortete nicht.
»Liebe, Miss, ist ein deformierter Gedanke in unserem Gehirn.«
Darin steckte ein Körnchen Wahrheit, das wusste Katinka. Sie dachte an all die Gewaltverbrechen, die aus einem Gefühl namens Liebe hervorbrachen. Eifersucht, Besitzansprüche, Verlassensein…Mein beknackter Beruf lässt mich nicht los, dachte sie. Und Paula belegt mich auch mit Beschlag. Ich verfrachte sie zu ihrem Gatten ins Bett. Jetzt. Sofort. Letzte Chance, um in dieser Nacht zur Ruhe zu kommen.
»Bei dir ist es ein anderer wunder Punkt, was?« Etwas Lauerndes lag in Paulas grünen Augen.
»Hör mal, Paula. Ich habe dringend Schlaf nötig.«
»Du willst nicht drüber reden. Ein untrügliches Zeichen.«
»Ich möchte schlafen gehen!« Katinka riss das Fenster sperrangelweit auf. »Und vorher muss ich noch lüften.«
»Es gibt einen anderen, hm?«
Katinka fuhr herum.
»Aaaaha!« Paula lehnte sich gegen den Sessel und strich mit dem Finger den Rand ihres Glases entlang.
»Gute Nacht, Paula.«
Das Glas begann zu singen. Dünn zitterte der Ton durch das Zimmer.
»Soll ich dich vor die Tür tragen?« Die Vibrationen bohrten sich in Katinkas Nervensystem.
»Also hast
Weitere Kostenlose Bücher