Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
ihren Höhlen getreten. Sein Blick verriet unsagbare Qualen.
»Ist er tot?«, flüsterte Paula, die Stimme hoch und schrill. »Ist er tot?«
Der Pfeil steckte in Hagens linkem Oberschenkel. Einer von Luisas selbstgebauten Pfeilen. Katinka suchte vergeblich nach Hagens Puls. Laut zwitscherten die Vögel zwischen den Zweigen. Fliegen saßen in Hagens Mundwinkeln. Es roch stark nach Pilzen.
»Keine tödliche Verletzung«, murmelte Katinka. Sie zückte ihr Handy und rief die Polizei.
4. Der Tapir
Die kleine, runde Frau Ende fünfzig mit der Baskenmütze wies Katinka einen Platz im Frühstücksraum zu und setzte sich ihr gegenüber. Unter der Mütze drängten krause Haare ans Tageslicht.
»Sie sind Katinka Palfy?«
»Ja.«
»Private Ermittlerin?«
»Genau.«
»Teilnehmerin an einem Kurs in«, sie fuhr mit einem rotlackierten Fingernagel über ihren Zettel, »abendländischem Bogenschießen?«
»Ja.«
»Ruth Stein, Hauptkommissarin, Haßfurt. Warum schießen Sie hier mit Pfeilen?«
»Eine Art Meditation«, erklärte Katinka und sah in zwei zusammengekniffene türkisblaue Augen. Die Kommissarin hatte ihre Brille vergessen oder setzte sie aus Eitelkeit nicht auf.
Die Polizei hatte alle verhört, angefangen mit Paula, die sie mittlerweile ins Krankenhaus gebracht hatten. Katinka war die Letzte. Die Praline in der Sammlung, dachte sie seufzend.
»Erzählen Sie, wie Sie den toten Hagen Stephanus fanden«, forderte die Hauptkommissarin sie auf.
Katinka berichtete knapp.
»Ich habe mich gewundert«, endete sie, »dass er starb, weil ein Pfeil seinen Oberschenkel traf. An so einer Verletzung stirbt man nicht so qualvoll.«
»Qualvoll?«
»Sein verzerrter Blick«, sagte Katinka. »Hagen bemerkte, was mit ihm passierte.«
»Woher wissen Sie das?«
Katinka rieb sich die Augenbrauen. Da kam der feine, pulsierende Schmerz zum Vorschein. Ein gehässiger Begleiter aus nervenaufreibenden Ermittlungen. Ruth Stein ließ sie nicht aus ihrem Blick entkommen; sie suchte nach den untrüglichen Zeichen für Anspannung und Stress. Katinka ließ die Hand sinken und sagte:
»Er starb vermutlich an einem Gift.«
»Ist Ihnen so was in Ihrer Tätigkeit schon einmal untergekommen?«
»Nein.«
Die Kommissarin kniff die Augen zu noch schmaleren Schlitzen zusammen.
»Sie haben das einfach so kombiniert.«
»Ja.«
Nicht losreden, nicht zur großen Verteidigungsrede ausholen. Alles macht verdächtig. Ruhig, befahl Katinka sich. Ruhig.
Ruth Stein stand auf und wanderte durch den Frühstücksraum. Ihre schwerfälligen und doch überraschend schnellen Bewegungen erinnerten Katinka an ein Tier, auf dessen Namen sie nicht kam. Am Büffet bediente sich die Kommissarin aus den Müsliboxen und warf eine Handvoll Krispies ein.
»Ich habe Ihren Namen schon gehört«, sagte sie. »Palfy. Das Bamberger Ermittlungstalent. Hardo hat mich im vergangenen Sommer einige Male kontaktiert. Es ging um den Mord in Königsberg * . Die Akten sind über meinen Schreibtisch gegangen.«
Hauptkommissar Harduin Uttenreuther hatte damals auf Katinkas Bitte hin mit Ruth Stein Kontakt aufgenommen. Er hatte ihren Namen zwar nicht genannt, aber bemerkt, dass in Haßfurt eine Kollegin sitze. Kolleg in .
»Curare«, sagte Ruth Stein. »Schon gehört?«
»Ein indianisches Pfeilgift.«
»Die Sammelbezeichnung für Pfeilgifte des tropischen Südamerikas.« Ruth Stein schnappte sich die Müslibox und schüttete einen Grabhügel aus Krispies auf ihre Handfläche. »Ich warte auf die endgültige Bestätigung durch den Rechtsmediziner. Soweit können wir aber sicher sein, dass Hagen Stephanus nicht an der Verletzung durch den Pfeil starb, sondern an etwas anderem.«
»Curare lähmt die Muskeln«, sagte Katinka. »Zuletzt die Atemmuskeln.«
»Indem es die Reizübertragung zwischen Nerv und Muskel unterbindet«, bestätigte Ruth Stein. »Das Hässliche an Curare ist, dass es das Opfer in absoluter geistiger Klarheit über das Geschehen belässt. Der Herzmuskel ist nicht betroffen. Das Herz pumpt bis zuletzt. Das Opfer weiß, was mit ihm passiert, aber es kann sich nicht bewegen, nicht einmal schreien.«
»Wie lange dauert der Todeskampf?«
Krachend zerbiss die Kommissarin ihre Krispies.
»Kommt auf die Dosis an. Wir werden das genau feststellen. Kleinere Säugetiere kämpfen zehn Minuten um ihr Leben. Ein großes, sagen wir ein Tapir, vielleicht zwanzig. Wie lange es bei einem Menschen dauert…Wie gesagt, wir werden das feststellen.«
Ein Tapir! Katinka
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