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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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enttäuscht schlief sie bald darauf ein.
    Am folgenden Morgen, gleich nach dem Frühstück, brachen sie mit Tante Justines Landrover nach Aigues-Mortes auf. In der Tracht der Gardians, den Hut tief ins Gesicht gezogen, lenkte sie den schweren Wagen über den holprigen Weg. Windstöße fuhren durch das Schilf. Autoschlangen hielten am Straßenrand: Die Touristen machten mit Fotoapparaten und Filmkameras Jagd auf Pferde, Stiere und Flamingos. Tante Justine fluchte leise vor sich hin, als sie sich mit lautem Gehupe durch das Gedränge hindurchzwängte. Karin verstand die Aufregung der Urlauber! Aber schon heute war für sie alles anders. Schon hatte sie sich eingelebt. Alles kam ihr schon bekannt vor! In Gedanken sah sie >Glanzstern< vor sich. Ob seine Wunden verheilten? Wo mochte er in diesem Augenblick sein? Etwas hatte sie gelernt: Die ausgedehnten, scheinbar flachen Ebenen der Camargue waren in Wirklichkeit voller Verstecke und Unterschlüpfe. Jeder, Mensch oder Tier, konnte sich im Schilf, im Unterholz oder auf schwimmenden Inseln verbergen. Karin brannte darauf, den beiden anderen von ihrem Erlebnis mit dem Hengst zu erzählen; dennoch schwieg sie. Fürchtete sie sich vor Alain? Karin vermochte es nicht zu sagen. Innerlich nannte sie sich einen Schwächling, aber das änderte nichts.
    Mireilles Stimme riß sie aus ihren Gedanken. »Sieh, dort hinten, das ist Aigues-Mortes!«
    In einer eintönigen Landschaft von Lagunen und Salinen richteten sich unter dem grellen Licht der Sonne die mächtigen grauen Mauern im Gegenlicht auf. Je näher der Landrover kam, um so stärker wurde der Eindruck, daß die langen Wälle und mächtigen Ecktürme über dem Boden schwebten.
    »Man könnte glauben, im Mittelalter zu sein«, rief Karin.
    »Ja! Früher war Aigues-Mortes eine blühende Hafenstadt«, erklärte Mireille, »die durch Kanäle mit dem Meer verbunden war. Von hier aus begab sich im Jahre 1248 König Ludwig der Heilige mit 39 Schiffen auf seinen Kreuzzug.«
    Alain gähnte. »Meine Schwester hatte schon immer eine Schwäche für Geschichte. Ich dagegen schlafe dabei ein.«
    Eine schattige Platanenallee führte an den Festungsmauern entlang. Karin renkte sich fast den Hals aus, um den breiten, mit Zinnen versehenen Rundgang zu betrachten. Durch ein Tor gelangten sie in die Stadt. In den Straßen, die von niedrigen, hellen Häusern gesäumt waren, herrschte reges Leben. Die Leute drängten in die Richtung auf den abgesperrten Platz am Fuße der Flanke des Bollwerks zu, wo der Kampf um die Kokarde ausgetragen werden sollte. Autos hupten, Motorräder bahnten sich surrend ihren Weg. Staub flimmerte in der Sonne. Die Luft stank nach Abgasen und heißem Fett. Rings um die Absperrung waren die stufenförmig aufgebauten Sitzplätze schon von Zuschauern besetzt. Aus Lautsprechern tönte Musik.
    Tante Justine stieg gerade aus dem Auto, als Constantin, Regine und Nicolas, die im Lieferwagen des »Baile« hergefahren waren, auf sie zukamen.
    Constantin trug seine Festtracht: enge graue Hosen, buntes Hemd, Halstuch und einen breitkrempigen Hut. Regine war in der Tracht der Arleserinnen: langer, weiter Rock, Spitzenmieder, ein über der Brust gekreuztes Schultertuch. Um den Hals trug sie ein schwarzes Samtband, an dem ein goldenes Kreuz hing. Karin bewunderte ihre stolze Erscheinung. Andere Gardians gesellten sich zu ihnen. Während Nicolas seine Zigarre ab-schnitt, drückte Tante Justine der Reihe nach die Hände. Bald war sie von einigen kräftigen, derb-fröhlich aussehenden Männern - Viehzüchtern, nach ihrer Tracht zu urteilen - umgeben, und es gab viel Gelächter und Schulterklopfen.
    Mireille berührte Karins Arm, die in dem Gewühl ein wenig verloren schien. »Komm, wir gehen uns die Arena anschauen. Du hast doch nicht etwa Angst?«
    »Klar hat sie Angst«, rief Alain dazwischen.
    »Dir werde ich es schon zeigen!« fuhr ihn Karin gereizt an. Nachdem sie inmitten der freilebenden Stiere über die Weide geschritten war, wußte sie nicht, was sie sonst noch erschrecken konnte. Sie drängten sich durch die Absperrung an der untersten Sitzreihe der Zuschauer vorbei. Es wimmelte von Jugendlichen, die ihre Plätze suchten. Mireille und Alain gebrauchten die Ellbogen, um zu ihren Sitzen zu gelangen.
    »Zuerst wird nur ein Rind hereingelassen«, erklärte Mireille und rückte etwas zur Seite, um Karin Platz zu machen. »Das ist lustig, du wirst sehen. Oh! Es fängt schon an...«
    Der Toril auf der gegenüberliegenden Seite öffnete

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