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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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nachzog. Ihr stockte der Atem: >Glanzstern<...! Was trieb diesen Hengst dazu, sich in die Nähe des Hauses zu wagen? Welch unerklärlicher Instinkt hatte ihn zu den Menschen geführt, vor denen er sich doch sonst fürchtete? Der Hengst stand jetzt beinahe regungslos. Das vom getrockneten Blut geschwärzte Bein war leicht eingeknickt, so daß nur die Hufspitze den Boden berührte. Ein rauhes Schnauben blähte plötzlich seine Flanken; >Trotzkopf< antwortete mit hellem Wiehern.
    Karin holte tief Atem. Fast hätte man meinen können, er wäre gekommen, um Hilfe zu suchen. Was tun? Tante Justine wecken? Das wäre die vernünftigste Lösung gewesen, aber sie konnte sich nicht dazu entschließen. Fieberhaft jagten ihre Gedanken durch den Kopf. Plötzlich löste sich der Zwang, der sie ans Fenster bannte. Endlich wußte sie, was sie zu tun hatte. Sie machte kein Licht; sie brauchte es nicht, auch wollte sie >Glanzstern< nicht erschrecken. Aufgeregt kramte sie in ihrem Schubfach und entnahm ihm ein altes sauberes T-Shirt. Sie schnitt es m Streifen und versah sich mit der desinfizierenden Salbe, die ihre Mutter ihr mitgegeben hatte. Dann eilte sie ins Badezimmer und feuchtete ein Handtuch mit warmem Wasser an. Als sie die Treppe hinunterstieg, versagten ihr fast die Beine. Sie hielt sich am Geländer fest, um nicht zu stürzen. Endlich war sie unten, die Haustür war nicht verriegelt. Sie bewegte leise die Klinke und betrat den Hof
    Das Pferd stand mit gesenktem Kopf in derselben Haltung da. Seine Augen, die der Mondschein glänzen ließ, richteten sich auf Karin, die ihren Ausdruck nicht zu deuten wußte. Sie näherte sich ihm Schritt für Schritt. Ihr Herz schlug so heftig, daß sie meinte, das unregelmäßige Pochen müsse den Hengst in die Flucht schlagen. Aber er rührte sich noch immer nicht. Mit einer ihr kaum bewußten Bewegung streckte sie den Arm aus. Ihre Hand legte sich auf den Hals des Tieres. >Glanzstern< zitterte leicht. Ihre Finger glitten über das warme Fell; sie wagte nicht, den Kopf zu berühren, sondern ließ die Hand über die Flanken gleiten. >Glanzstern< verharrte regungslos. Karin hatte den Eindruck, daß jede Sekunde sie dem magischen Bündnis näherbrachte, das sie im Traum erlebt hatte...
    »Keine Angst«, flüsterte sie. »Ich will dich pflegen.« Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da änderte sich alles in ihr. Der Trancezustand von Furcht und Freude wurde von konzentrierter Aufmerksamkeit abgelöst. Sie kauerte sich vor dem verletzten Bein nieder. Das Fell, das vom Stacheldraht aufgerissen worden war, legte das Fleisch bloß, auf dem das geronnene Blut eine Kruste gebildet hatte.
    Karin betupfte mit dem feuchten Handtuch die verklebten Stellen. Leicht und geschickt waren ihre Hände. Genau über der Fessel lag der Knochen frei. Als sie die Wunde versehentlich berührte, stampfte der Hengst, und der Huf bohrte sich leicht in den Sand.
    »Bleib ruhig«, flüsterte Karin.
    Sie war in Schweiß gebadet, aber sie behandelte die Wunde mit Sorgfalt und Behutsamkeit. Dann bestrich sie einen Lappen mit der desinfizierenden Heilsalbe, bedeckte die Wunden damit und legte einen Verband an. Sie war so vertieft, daß sie nicht sah, wie das Tier die Ohren spitzte und die Nüstern blähte. Sie hatte den Verband soeben verknotet, als >Glanzstern< unverhofft zur Seite sprang. Karin verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts zu Boden. Wütend schnaubte der Hengst neben ihr. Seine Glieder bebten, die Hufe stampften den Sand. Jäh machte er eine Wendung und überquerte den Hof mit dumpfen Hufschlägen. Wenn er auch das verletzte Bein nachzog, so hatte er doch einen ausgreifenden, sicheren Schritt. Mit unglaublicher Schnelligkeit brach er ins Schilf ein. Wäre das Rascheln nicht gewesen, das immer leiser wurde, je mehr sich das Pferd entfernte, hätte Karin geglaubt, geträumt zu haben. Schließlich vernahm sie nichts mehr, ringsumher herrschte Stille.
    Karin fühlte sich wie zerschlagen und betäubt. Was mochte den Hengst zu seiner überraschenden Flucht getrieben haben? Da... Motorengeräusch in der Ferne! Alains Moped! Das empfindliche Gehör des Tieres hatte das Geräusch lange vor ihr wahrgenommen. Karin sprang auf und lief ins Haus. Bevor sie die Tür geschlossen hatte, sah sie das Licht des Scheinwerfers über den Weg tanzen. Ohne etwas von ihrem Muskelkater zu merken, eilte sie die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Sich hinlegen, die Decke bis zu den Ohren ziehen war eine Sache von Sekunden. Schon

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