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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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worden war. Ich sah nur einen dieser Snobs vom Gestüt, deren Pferde umso höher im Blut stehen, je geringer die Intelligenz ihrer Halter ist. Er behauptete, er müsse Satan beruhigen. Darum war ich es, die sich schließlich an die Hinterhufe des Trakehners wagte, um den Draht zu entwirren.«
    Damals war ich nur eine Sekretärin mit Dauerwellen. Aber Todt lud mich zum Dank aufs Gestüt ein. Und so kam es, dass ich mich in ihn verliebte. Dasselbe Phleg ma, das mich befähigte, im Haus meiner Mutter zu leben, setzte mich in den Stand, Vollblüter zu beruhigen und Männer von noblem Geblüt. Todt befand sich in brisanter Lage, nicht nur mit seinem Pferd am Wasserwerk, auch auf dem Hof seines Vaters. Wir trafen uns in unserer Unfähigkeit, dem Elternhaus den Rücken zu kehren. Über ihn herrschte der Saftkönig von Vingen, der Kavallerist Friedrich Gallion, der seine Selbstgerechtigkeit aus dem Umstand ableitete, dass er bei Kriegsende zu denjenigen gehört hatte, die mit den preußischen Kriegsrössern von Trakehnen die Flucht aus Polen übers vereiste Frische Haff angetreten und den Treck nach Mecklenburg überlebt hatten. Todt nannte ihn nur »den General«.
    Ein Frühsommertag verglühte im Arstal zwischen Albtrauf und welligem Land mit seinen knorrigen Obstbäumen, Gehöften und reifenden Feldern. Meine Mutter saß unter dem heiligen Sebastian und umhäkelte Geschirrtücher für den kommenden Basar. Im Fernsehen unter dem geschundenen Leib Jesu versammelten sich Leute in Trachtenanzügen zum Finale. »Die Leute ham auf Gott vergessen, früher ist das anders g’wesen …« Die knotigen Finger meiner Mutter flitzten, das Sofa knarzte mit den Häkeleinstichen, in ihrem Schoß zuckte das Knäuel weißen Garns, die Zehen krümmten sich in ihren Pantoffeln aufwärts. Die Kiefer mahlten.
    »Na«, sagte sie, »hat denn im Ort überhaupt noch je mand gewusst, wer du bist?«
    Beim Blick in den Badspiegel fuhr mir der Schreck bis in die Kniekehlen. Meine Augen hatten nicht nur das Muttergrau, sie hatten auch denselben bösartigen Zuschnitt, dieses schlau auftrumpfende Schillern von Leuten, die sich immer geringschätzig behandelt, aber allen überlegen fühlen. Nur gut, dass ich Richard nicht mitgenommen hatte. Er hätte sonst womöglich noch entdeckt, was ihm blühte, wenn ich in die Jahre kam.
    Gegen elf klingelte das Handy. Es war nicht Richard, sondern Sally, die gute Seele. Sie erkundigte sich, ob mit mir alles okay sei. Ich bemühte mich um einen vergnügten Abriss des dörflichen Idylls. Sally verdankte ich mein Leben. Sie lag neben mir in der Unfallmedizin des Katharinenhospitals, als meine Mutter kam, um mir von Todts Beerdigung zu berichten. Ich muss wohl versucht haben, mir die Verbände vom Gesicht zu reißen und aufzustehen. Die Infusion, die mich ruhigstellen sollte, löste einen allergischen Schock aus. Sally begriff, dass ich mich davonstahl, drehte den Tropf zu und alarmierte die Ärzte. Es handelte sich um Minuten. Dafür begleitete ich sie jetzt von Zeit zu Zeit im Nadelstreifenanzug oder in Bomberjacke auf Konzerte, damit die Kerle, die sie treffen wollte, nicht glaubten, sie sei solo.

3
     
    Eine Stunde spachtelte ich am Morgen an meiner Selbstverleugnung, überschminkte die Narbe, gelte die Haare und versah die Ohren mit lupenreinen Brillanten. Das Auge meiner Mutter blitzte tückisch, als sie mich im grauen Leinenkostüm mit roten Webstreifen sah. Einerseits gefiel ich ihr im Rock besser, andererseits war er zu kurz.
    Fünf vor elf bog ich mit meinem offenen Golf Cabrio let, grün-metallic mit roten Ledersitzen und Alufelgen, von der Eninger Landstraße nach rechts auf den Asphaltweg ab, der zuerst eine leichte Kuppe hinanstieg und sich danach geflankt von Koppeln ins Herz des Gestüts senkte. Auf dem gekiesten Parkplatz standen Roadster mit Hängerkupplung, Mercedes SKL und Zweitlimousinen. Das Witwenkleid meiner Mutter flatterte. Sie trug das Geschenk: Dürers betende Hände in Holz geschnitzt. Ich atmete den Geruch nach Pferd, diese die einen berauschende, die anderen abschreckende Mischung aus Dung, Heu, Pferdeschweiß und Huffett. Mein Puls beschleunigte.
    Vom Parkplatz ging es zwischen Remise und Wirtschaftshaus auf den Hof. Die gesamte Anlage, die sich heute auf knapp achthundert Hektar erstreckte, verleugnete in ihrem Kern nicht die Anfänge als Aussiedlerhof mit Kutschenremise, Schuppen und alten Stallungen im Arsbogen. Der General hatte nie ein Gebäude abgerissen, sondern immer nur angebaut.

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