Pflicht und Verlangen
zu begrüßen. Ich hoffe, man
hat dir im Longbottom Institut wenigstens beigebracht, wie man sich
bei einem solchen Anlass zu benehmen hat.«
» Selbstverständlich,
Tante!«, Charlotte ignorierte die schlecht verborgene Ablehnung
in den Worten Lady Millfords. Es war ihr ja bewusst gewesen, dass die
Weigerung des Hauses Millford, mit ihr in den letzten sechs Jahren
Kontakt aufzunehmen, eine Wurzel haben musste und hier wurde eine
Quelle der Ablehnung offenbar. Die Frage war, ob nur Lady Millford
ihr mit Ablehnung begegnete oder auch Sir Alistair. Immerhin hatte er
ihr eine nicht eben billige Ausbildung bezahlt und plante nun, sie
als Tochter in sein Haus aufzunehmen.
» Ich
würde mich unter diesen Umständen gerne zurückziehen,
Tante. Ich bin sehr müde von der Reise und denke, dass es von
Vorteil ist, morgen ausgeruht der Begegnung mit meinem Onkel
entgegenzusehen.«
» Das
mag sein, Charlotte. Ich werde läuten, damit man dich auf dein
Zimmer führt. Solltest du noch Hunger verspüren, kannst du
dir etwas auf dein Zimmer bringen lassen. Das wäre alles.«
Lady
Millford drehte sich um und zog energisch an der Klingel für die
Bediensteten. Charlotte betrachtete sie dabei eingehend. Immerhin
würde diese spröde Frau in Kürze ihre Adoptivmutter
sein. In ihrem blaugrauen, strengen Kleid und der sorgsam gebundenen
Haube stand Lady Millford in der strammen Haltung, die Charlotte eher
an einen Militär als an eine Frau erinnerte. Kein Zweifel, diese
Frau hatte einen starken Willen und einen unbeugsamen Charakter. Es
würde über Charlottes Wohlergehen in diesem Hause
entscheiden, ob sie deren Anerkennung und Wohlwollen gewinnen konnte.
Doch
warum hatte man sie dann hergeholt? Sie hätte sich mit dem, was
sie im Institut gelernt hatte, selbst ein zumindest bescheidenes
Auskommen schaffen können. Charlotte war nun mehr als gespannt
zu erfahren, wie der Baronet zu ihr stand.
Kapitel
3
Nachdem
Charlotte sich am nächsten Morgen angekleidet und im
Frühstückszimmer allein gegessen hatte, saß sie nun
im Kartenzimmer und wartete auf ihren Termin zur Vorstellung.
Sie
wartete schon seit geraumer Zeit und schwankte zwischen Unsicherheit
und Verärgerung über die offenkundige Feindseligkeit, die
in diesem Wartenlassen lag. Sie vermutete stark, dass dies auf Geheiß
von Lady Millford so gehandhabt wurde und es war ihr nur zu bewusst,
dass ihre Tante sie damit auf den Platz einer rechtlosen
Bittstellerin zu befördern versuchte.
Aber,
so nahm sich Charlotte vor, vielleicht kann ich wenigstens mit Sir
Alistair auskommen. Mutter hat immer gut von ihrem älteren
Bruder gesprochen und es sehr bedauert, dass auch er mit ihr
gebrochen hatte nach ihrer heimlichen Heirat mit Papa. Er kann kein
schlechter Mensch sein.
Ihr
Blick schweifte nach draußen über die abfallenden Hügel
von Dorset, die bis zum fernen Meer hinunterreichten. Millford war
ein fruchtbarer Landstrich. Jetzt im Herbst waren die abgeernteten
Getreidefelder graugelb, während Kohl und Rüben noch auf
die Ernte warteten. Links vom Haus stand wie eine Mauer der dichte
Laubwald von Millford, dem sowohl das Anwesen als auch das
Adelsgeschlecht zweifellos ihre Namen verdankten. Der Wald hatte sich
bereits mit bunten Herbstfarben geschmückt und Charlotte nahm
sich vor, dort einen Spaziergang zu unternehmen, sobald es ihre
Pflichten zuließen. Charlotte liebte den Herbst mit seiner
klaren Luft und den intensiven Farben. In Surrey hatte sie auch, so
oft sie konnte, Spaziergänge auf den zahllosen Wanderpfaden
unternommen. Leider hatte sie eher selten ausreiten können, da
sie nicht, wie die meisten anderen Mädchen in Longbottom, die
Mittel besessen hatte, ein eigenes Pferd in den institutseigenen
Stallungen zu unterhalten. Dennoch hatte sie aber dank einer
Freundin, die ihr öfter ihr Pferd ausgeliehen hatte, wenigstens
die für eine Dame erforderliche Grundgeschicklichkeit im Reiten
erlangen können, auch wenn sie inzwischen längst zu der
Einsicht gekommen war, dass diese Kunst nicht zu den notwendigen
Fähigkeiten einer Gouvernante gehörte. In der neuen Lage,
in der sie sich jetzt befand, dachte sie nun aber doch dankbar an
ihre liebe Schulfreundin zurück. Der Anblick der reizvollen
Landschaft beruhigte sie und ließ sie zufriedener mit ihrer
momentanen Situation werden. Da hörte sie hinter sich die Tür
aufgehen, gefolgt von Kleiderrascheln und einem verschämten
Hüsteln.
» Wenn
die Miss jetzt bereit wäre, Lord und Lady Millford lassen
bitten, äh …
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