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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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verschwinde. Hau endlich ab!«
    »Ich lüge nicht«, widersprach sie vehement und hätte ihn töten können in diesem Augenblick. »Aus ihrem eigenen verdorbenen Mund habe ich es gehört, als sie es einem Priester gebeichtet hat. Außerdem weißt du genau, dass es wahr ist. Hast es immer gewusst. Und die anderen auch. Alle! Jeder hier in dieser Stadt. Wieso trägst ausgerechnet du dieses Mal? Wieso hat Gott dich und keinen anderen mit diesem unübersehbaren Makel gestraft? Hast du dich das nicht selber schon unzählig oft gefragt? Ich will es dir verraten, Guntram: damit jeder weiß, dass du ein Kind der Blutschande bist - ein Bastard des Leibhaftigen!«
    Jedes Wort wie ein Messerstich. Er begann zu gurgeln, als habe man ihm die Zunge abgeschnitten. Seine Hände fuhren an ihren Hals, umschlossen die zarte Kehle, die seine Lippen oftmals gestreift, und drückten zu.
    Gleichmäßig, unausweichlich, ohne sich um ihr Stöhnen, Japsen und immer verzweifelteres Strampeln zu kümmern.
    Er ließ erst los, als sie sich nicht mehr bewegte.
    »Ich bin Wulfing«, flüsterte er tonlos, und diesmal klang es nicht wie eine Drohung, sondern eher wie ein verzweifeltes Flehen. »Der Mann, den diese Stadt niemals vergessen wird.«
    Flora klagte zunächst darüber, wie heiß ihr Kopf sei. Bocca hatte sie weinend und matt im Hof gefunden und sofort ins Haus zu ihrer Mutter gebracht. Ihre Augen waren gerötet und entzündet, Schlund und Zunge wie roh. Anna zuckte erschrocken zurück, als sie ihren übelriechenden Atem roch. Der Gugelmann ging schnell aus der Stube und schlug ein geheimes Zeichen auf seiner Brust.
    Am nächsten Morgen fieberte die Kleine so stark, dass sie nicht mehr ansprechbar war. Teilnahmslos lag sie unter der Decke, rührte und regte sich nicht. Nur gelegentlich überfiel sie ein hohler Schluckauf, der in Annas Ohren schrecklicher als jedes Jammern klang. Natürlich war Anna sofort zu Regina gelaufen, aber der vertraute Weg zum Beginenkonvent trug noch mehr dazu bei, ihre furchtbare Angst zu steigern. Überall sah sie die schwarzen Kreuze auf den Häusern, an den Wänden, die vernagelten Fenster der Anwesen, über die der Tod bereits gesiegt hatte. Bei jedem Schritt, an jeder Ecke schienen es mehr zu werden. Unterwegs begegnete sie zwei schwer beladenen Leichenkarren, die seit ein paar Tagen von früh bis spät mit ihrer furchtbaren Fracht unterwegs waren.
    Regina war bleich und müde, und ihre Mitschwestern, deren Arbeit als Totenfrauen von Tag zu Tag mehr wurde, nicht minder. Trotzdem hörte sie geduldig zu, als Anna ihre Sorgen heraussprudelte. »Ist ihr Körper heiß und gerötet?«, fragte sie.
    Anna nickte. »Ein paar kleine Bläschen und Geschwüre. Nichts Schlimmes, soweit ich feststellen kann. Es muss doch noch nichts bedeuten, oder?« Sie klammerte sich an jeden Strohhalm.
    »Was ist mit Schwellungen unter den Achseln? Oder in der Leistengegend?«
    »Bislang noch nicht. Obwohl ich sie dort kaum anfassen darf. Sie schreit auf, sobald ich nur in die Nähe komme.«
    Regina, alles andere als beruhigt, gab ihr reichlich Theriakpillen, Benediktenkrautsaft, Pestwurz und genaue Anweisungen mit, wie sie Flora die Medikamente verabreichen sollte. »Pack sie warm ein und lass sie kräftig schwitzen«, befahl sie. »Am besten legst du sie auf die Ofenbank, unten in der Stube, wo du gut einheizen kannst. Der Junge soll dir dabei helfen. Und Hände, Nase und Ohren immer wieder mit Rosenwasser abreiben! Leg dir außerdem einen essiggetränkten Schwamm in die Nähe und riech an ihm, sooft du daran denkst. Und vergiss bloß nicht das Tuch vor dem Mund!«
    Als sie am Nachmittag selbst zum Nachschauen kam, hörte sie schon auf dem Hof das durchdringende Wimmern des Kindes.
    »Durst, Mama. Ich hab solchen Durst! Ich verbrenne!« Regina schlug die Decke zurück und untersuchte das Mädchen. Als sie sich wieder aufrichtete, liefen Tränen über ihre Wangen.
    »Du musst jetzt ganz stark sein, mein Liebes«, sagte sie sanft zu Anna. Danach begann sie halblaut zu beten. »Heilige Maria, Mutter Gottes, die du selber ein Kind geboren hast, nimm dich dieses unschuldigen kleinen Wesens an! Geliebte Himmelskönigin, behüte die kleine Flora mit deiner Kraft und deiner unendlichen Liebe. Steh uns Sündern jetzt bei und in der Stunde unseres Todes. Amen!«
    Annas Wangen hatten jede Farbe verloren. Schwankend klammerte sie sich an der provisorischen Bettstatt fest.
    »Nicht mein Kind«, flüsterte sie. »Gütiger Herr im Himmel, nicht auch

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