Pforten der Nacht
Gesicht war über dem Dampf leicht gerötet; sie hatte den Mund geöffnet und zeigte ihre spitzen, weißen Zähne.
Eine Lüchsin, dachte Regina unwillkürlich. Ein scheues, gefährliches Waldtier. Geübt, die Beute schnell zu schlagen. Und sich anschließend im Dickicht erneut auf die Lauer zu legen.
»Barbra ist krank«, begann sie ohne Umschweife. »Und Agnes und Hilla dazu.«
»Ich weiß.« Eine weißblonde Strähne war der einstigen Bettlerin in die Stirn gefallen; sie pustete sie nach hinten, ohne in ihrer Arbeit innezuhalten. »Deshalb hängt ja alles wieder ganz allein an mir. Aber was soll’s? Ist ja nicht zum ersten Mal! Schließlich bin ich bei den faulen Trinen daran gewöhnt!«
»Nicht mehr lange«, entgegnete Regina ruhig. »Denn du wirst den ›Schwan‹ schließen müssen. Und zwar auf der Stelle.«
»Weshalb sollte ich?« Ursulas schwarze Augen glitzerten kämpferisch. »Du hast mir hier nichts zu befehlen. Ich führe das Wirtshaus. Ich allein!«
»Um zu verhindern, dass deine Gäste die Pest bekommen.« Gütiger Gott, sie hasste dieses Mädchen, das dafür gesorgt hatte, dass ihre geliebte Anna von Hermann um ihr schönes Haus betrogen werden konnte! Für einen Moment genoss sie es beinahe, ihr die furchtbare Wahrheit an den Kopf zu schleudern. »Und du dazu. Die dort drüben« - sie wies in Richtung Färberhaus - »haben sie nämlich bereits.«
»Du lügst!« Rote Flecken brannten jetzt auf Ursulas weißer Haut. Ihr Gesicht war ebenfalls von Hass verzerrt.
Eine Feindin, dachte Regina erstaunt, eine bösartige Feindin, die mich nicht minder verabscheut als ich sie! »Da irrst du dich«, erwiderte sie laut. »Es ist leider wahr, und ich habe nun weiß Gott Besseres zu tun, als mit dir darüber zu streiten.«
Die junge Frau wich zurück, als sei ihr in Reginas Gestalt der Leibhaftige erschienen.
»Das sagst du nur, um mich zu erschrecken! Weil du mir nicht gönnst, was ich mir so schwer erarbeitet habe!«
Regina schüttelte den Kopf und machte einen Schritt auf sie zu. Ursula begann sofort zu schreien, weil sie schon hinten am Herd angelangt war.
»Hinaus, du graue Hexe! Raus mit dir! Lass dich hier nie wieder blicken! Und merk dir: Den ›Schwan‹ lass ich mir von einer wie dir nicht nehmen! Wenn du mich angesteckt hast, wirst du es auf dem Scheiterhaufen bitter büßen!«
Die Begine hatte ihre wütenden Flüche und Verwünschungen noch im Ohr, als sie schon längst die Bäche erreicht hatte.
Jan van der Hülst war erstaunt, als die Magd eine Nachricht brachte, die ihn zu Nana Tarlezzo bat, leistete der dringenden Aufforderung, sich noch am selben Abend im Haus am Neumarkt einzufinden, nach kurzem Zögern jedoch Folge. Alles war festlich gerichtet, als er dort eintraf; duftende Wachskerzen in großen Bronzekandelabern aufgestellt, Schalen mit getrockneten Rosenblättern überall drapiert. Der Tisch mit gefülltem Kapaun, Wachteln und krossem Schweinebraten reichlich gedeckt. Sie schenkte gewürzten Wein ein, der schon nach wenigen Gläsern einen schweren Kopf machte, und lachte, als er sich darüber beklagte.
Sie war so anders heute, kein bisschen launisch, vorwurfsvoll und ständig gekränkt, wie all die bleischweren Monate zuvor, sondern vergnügt, koboldhaft, wie im Fieber. War aufwändig frisiert und stark geschminkt, mit weiß gepuderten Wangen und einem großen, verführerisch lachenden Mund, dunkelrot wie der Saft von Kermesbeeren. Ein betörender Duft strömte von ihr aus, sobald sie sich bewegte, und sie schien es darauf anzulegen, ihn gänzlich damit zu umgarnen, weil sie immer wieder zu einem Fläschchen griff und sich erneut am ganzen Körper damit betupfte. Dabei war sie ausgelassenster Stimmung, plapperte ohne Unterlass, jene spezielle Mischung aus deutschen und italienischen Brocken, die ihn seit jeher in Bann geschlagen hatte, und drückte immer wieder ihr erhitztes Gesicht an seine Wange, um dann sofort wieder wie ein flüchtiges Feenwesen davonzuflitzen.
Es gefiel ihm, dieser unbekannte, köstliche Zeitvertreib, den sie sich für ihn ausgedacht hatte; seine Laune besserte sich, und er spürte, wie seine erkaltete Begierde langsam wieder erwachte. Ein paarmal versuchte er, sie zu erhaschen, sie aber entwand sich leichtfüßig, um ihn im nächsten Augenblick wieder anzulocken. Dann taumelte sie, musste sich an der Wand festhalten, als hätte sie zu viel Wein abbekommen, um ihm sogleich wieder ein schmelzendes Lächeln zu schenken. Ließ ihn ausgiebig essen und
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