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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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seines Wagens lehnte ein Gewehr.
    Er war Weißer, aber so gebräunt, als läge er schon seit Wochen hier in der Sonne. Braun gebrannte Menschen bedeuteten eine Eins auf meiner Afrika-Skala, nur eine ganz leichte Beschleunigung meines Pulsschlags.
    Wahrscheinlich ahnte er längst, dass er es mit Geistesgestörten zu tun hatte. Ein Glück, dass er uns nicht gleich über den Haufen schoss.
    Emma rief ihm zu: »Was glaubst du – müssen Geister eigentlich Geister sein, nur weil wir sie dafür halten?«
    Er ließ das Gewehr, wo es war. Mein Blick fiel auf den kleinen Altar, den er vor seinem Zelt errichtet hatte. Ein schlichtes Kreuz, in dessen Mitte ein achtstrahliger Stern angebracht war. Daran lehnte ein gerahmtes Porträtfoto, dessen Details ich aus der Entfernung nicht erkennen konnte.
    Dafür erkannte ich das Kreuz mit dem Stern. Es war das Zeichen einer Sekte, die seit Monaten in aller Munde war. Der Tempel des Liebenden Lichts. Nach dem Erscheinen der Geister hatte ihr Zulauf den von Scientology und den Zeugen Jehovas übertroffen. Ich wusste so gut wie nichts über das, was diese Leute glaubten, hatte nur gehört, dass sie die Geister verehrten – nein, nicht die Geister, sondern das Totenlicht, das von ihnen ausging. Sie setzten es mit dem Licht Gottes gleich oder irgend so einem Unfug. Von mir aus hätten sie Mark Zuckerberg oder den Apple-Apfel anbeten können.
    Der Kerl verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hast du gesagt?«, fragte er in Emmas Richtung.
    Sie machte zwei weitere Schritte auf ihn zu und blieb stehen. »Müssen Geister wirklich Geister sein, nur weil wir glauben, dass sie welche sind?«
    Möglich, dass sie das Kreuz schon lange vor mir erkannt hatte und ihn deshalb auf dieses Thema ansprach.
    »Lasst mich in Ruhe«, sagte er. »Hier ist genug Platz. Wir müssen nicht zusammen picknicken.«
    »Als Captain Cook Australien entdeckt hat«, sagte Emma ungerührt, »und zum ersten Mal an Land ging, haben die Aborigines ihn und seine Mannschaft für Geister gehalten. Weil die Haut der Weißen in ihren Augen so bleich war wie die ihrer Toten.«
    Er warf mir einen Blick zu, den ich wegen des Schattens seiner Hutkrempe nicht deuten konnte. Ich nickte mit aller Überzeugungskraft, so als spräche meine Schwester mir aus tiefster Seele.
    »Was wollt ihr?«, fragte er.
    »Dasselbe wie du, wahrscheinlich«, sagte ich.
    »Aber –«, begann Emma, doch ich gab ihr mit einem Wink zu verstehen, sie möge jetzt lieber mal den Mund halten.
    »Ihr wartet auf die Geister von Flug IB259«, stellte er fest.
    »Nicht auf den Bus.«
    »Dann wartet anderswo. Ich will nur meine Ruhe.«
    Ich sah wieder zum Kreuz und zu dem Foto hinüber. Wir hatten kein Recht, ihn in seiner Trauer zu stören. Mit einem letzten Blick auf das Gewehr ergriff ich Emmas Hand.
    »Gehen wir«, sagte ich.
    »Was ist mit den Hüten?«, flüsterte sie.
    »Was sollte er wohl mit drei davon anfangen?«
    »Eben.« Sie kniff die Brauen zusammen. »Deshalb kann er uns ja die beiden anderen geben!«
    Es war zwecklos, gegen die Gesetze von Emmas Universum zu argumentieren. Mit einem Seufzen wandte ich mich noch einmal an den Amerikaner. »Hast du vielleicht noch mehr Sonnenhüte?«
    Verwundert neigte er den Kopf. Er sah aus wie jemand, der nicht oft gute Laune hatte.
    »Was, zum Teufel, sollte ich mit mehr als einem?«
    »Uns zwei davon verkaufen«, sagte Emma. »Oder schenken.«
    Wieder sah er mich an, als erhoffte er sich Beistand. Aber von mir konnte er keinen erwarten.
    »Komm«, sagte ich leise zu Emma.
    »Er ist nicht aufrichtig.« Sie klang sehr überzeugt. »Er hat ein Geheimnis.«
    »Das geht uns nichts an.«
    Ich drückte ihre Hand ein wenig fester und zog sie herum. Es kam mir vor, als könnte ich im Davongehen die Blicke des Amerikaners in meinem Rücken spüren. Doch als ich über die Schulter schaute, saß er schon wieder in seinem Liegestuhl, ließ seinen nackten Oberkörper von der Sonne bräunen und hatte das Gesicht der Straße zugewandt.
    »Ich mag ihn nicht«, sagte Emma.
    » Du wolltest mit ihm reden, nicht ich.«
    »Und jetzt bin ich sicher, dass ich ihn nicht leiden kann.«
    Ich atmete tief durch. »Spielt ja auch keine Rolle.«
    Das tat es nicht. Denn acht Stunden später war er tot.

6.
    Dreiundzwanzig Uhr siebzehn.
    Es war längst stockfinster geworden. Bis dahin hatte ich keine Vorstellung davon gehabt, wie dunkel es im Freien werden konnte, wenn keine Lampen oder Geister in der Nähe waren. Nur in der Ferne waren hier

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