Philosophenportal
erste große Systementwurf in der Geschichte der europäischen Philosophie. In dem vielstimmigen Konzert dieser Geschichte haben
die Vorgänger Platons den Grundton angestimmt, Platon selbst aber hat die Ouvertüre gespielt.
Ausgangspunkt des Werkes ist die Frage nach der Gerechtigkeit. Sie führt schließlich zu der Beschreibung einer gerechten Ordnung,
die auf so stabile Fundamente gebaut ist, dass sie für alle Zeiten unverändert bestehen kann. Im Mittelpunkt dieser Ordnung
steht die Vorstellung, dass der Staat von den wirklich Besten regiert wird, von |10| Herrschern, die sich gleichermaßen durch Weisheit und durch Kompetenz auszeichnen. Denn Platon träumt in diesem Buch nicht
nur den Traum vom idealen Staat, sondern auch den Traum von den Philosophenkönigen, die Weisheit und Macht vereinen. Sie sind
nicht nur politische, sondern auch spirituelle Führer, die den Menschen den Weg zur wahren Wirklichkeit zeigen können.
In der Geschichte der Menschheit ist dies ein ebenso verführerischer wie unzerstörbarer Traum geblieben, der bis heute eine
große Faszination ausübt. Er trifft einen Nerv nicht nur bei Philosophen, sondern auch bei vielen Menschen, die das Geschehen
auf der politischen Bühne als ein ewig fruchtloses Gerangel, als ein Geschacher um Posten und einen Machtklüngel auf Kosten
der Bürger erleben. Ist es nicht eine verlockende Idee, in einem Staat zu leben, in dem diejenigen herrschen, die dazu am
besten geeignet sind und denen man in jeder Hinsicht vertrauen kann?
Bei all dem ist Platons
Staat
keine trockene Abhandlung, sondern eine kunstvoll inszenierte Diskussion, in der Platons philosophischer Lehrer Sokrates zu
einer literarischen Figur wird und als Erzähler und Hauptsprecher auftritt. Platon zeigt sich hier als Dichter und als Philosoph.
Gleich in der ersten Zeile setzt die Stimme des Sokrates ein und der Leser fühlt sich wie in einen Roman versetzt: »Ich ging
gestern mit Glaukon, dem Sohne des Ariston, in den Peiraieus hinunter, teils um die Göttin anzubeten, dann aber wollte ich
auch zugleich das Fest sehen, wie sie es feiern wollten, da sie es jetzt zum erstenmal begehen.«
Platon führt hier Szenerien und Personen ein, die ihm eng vertraut waren. Sokrates hat sich von Athen zu dem mehrere Kilometer
entfernten Hafen von Piräus aufgemacht, um das Fest zu Ehren der Göttin Athene mitzuerleben. In seiner Begleitung befindet
sich Glaukon, einer der Brüder Platons. Als Sokrates einige Zeit später wieder den Heimweg antreten will, drängen ihn Freunde
und Bekannte, darunter Adeimantos, ein weiterer Bruder Platons, und Polemarchos, der Sohn des wohlhabenden Kaufmanns Kephalos,
noch in Piräus zu bleiben, gemeinsam mit ihnen zu essen, zu diskutieren und die noch folgenden Nachtfeierlichkeiten mitzuerleben.
Im Haus des Kephalos |11| entwickelt sich im Folgenden ein Gespräch zwischen Sokrates und wechselnden Diskussionspartnern, in dem Positionen zur Gerechtigkeit
ausgetauscht und die Grundzüge einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung entworfen werden.
Dass Platons Dialoge bis heute nicht nur als Philosophie, sondern auch als Dichtung gelesen werden können, trifft sich durchaus
mit den Absichten des Autors. Schon vom jungen Platon ist überliefert, dass er an Dichterwettbewerben teilgenommen hat. Auch
dass die Politik in seinem Werk eine solch große Rolle spielt, ist nicht zufällig. Platon war nicht nur ein Sohn Athens, der
bedeutendsten Stadt des klassischen Griechenlands, sondern er gehörte auch einer der vornehmsten Familien dieser Stadt an.
Er war ein Spross der traditionellen politischen Elite, deren Vormachtstellung jedoch im 5. vorchristlichen Jahrhundert durch
die Reformen des großen Athener Staatsmanns Perikles beseitigt worden war. Perikles hatte die Demokratie eingeführt und den
politischen Einfluss der Aristokratie beschnitten. Im Peloponnesischen Krieg schließlich, der 431 v. Chr., vier Jahre vor Platons Geburt, begann, verlor Athen seine politische Vorrangstellung innerhalb Griechenlands an den
Rivalen Sparta.
In die nun folgenden turbulenten politischen Entwicklungen war Platons Familie eng verstrickt. Die alten Oligarchen der Stadt
hatten eine dezidiert antidemokratische Haltung bewahrt und während des Krieges mit dem autoritären Militärstaat Sparta sympathisiert.
Als die Spartaner nach dem Krieg im Jahr 404 die athenische Demokratie wieder abschafften, setzten sie ein Marionettenregime
ein,
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