Picknick mit Bären
»Kampagnen zur Schädlingsbekämpfung«, die häufig vom Amt für Naturschutz durchgeführt wurden. Das Amt verteilte für jedes erlegte Raubtier, wozu fast alle Tierarten gehörten, zum Beispiel Habichte, Eulen, Eisvögel, Adler und praktisch jedes größere Säugetier, Siegerpunkte an die Jäger. West Virginia vergab sogar jährlich ein Universitätsstipendium an den Studenten, der die meisten Tiere erlegte; andere Bundesstaaten belohnten die Schützen großzügig mit Auszeichnungen und Bargeld. Mit vernünftigem Tierschutz hatte das wenig zu tun. Pennsylvania gab in einem Jahr 90.000 Dollar an Prämien für die Tötung von 130.000 Eulen und Adlern aus, um den Farmern geschätzte Verluste ihres Viehbestandes in der nicht gerade gigantischen Höhe von 1.875 Dollar zu ersparen – es kommt schließlich nicht alle Tage vor, daß eine Eule eine Kuh reißt.
Noch bis 1890 zahlte der Staat New York Prämien für 107 erlegte Berglöwen, und innerhalb von zehn Jahren war das Tier praktisch ausgerottet. Der letzte wildlebende Berglöwe im Osten wurde 1920 in den Smokies erschossen. Der amerikanische Wolf und das Karibu oder nordamerikanische Rentier wurden ebenfalls in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts aus ihrem letzten Refugium in den Appalachen vertrieben, gefolgt vom Schwarzbären. Im Jahre 1900 war der Bestand an Bären in New Hampshire, der heute wieder auf über 3.000 angewachsen ist, auf gerade mal 50 gesunken.
Es gibt immer noch jede Menge Leben draußen in den Wäldern, aber es sind vorwiegend kleine Tiere. Einer repräsentativen Schätzung des Ökologen V E. Shelford von der Umversity of Illinois zufolge leben in den Wäldern im Osten Amerikas auf einer Fläche von 25 Quadratkilometern durchschnittlich 300.000 Säugetiere – 220.000 Mäuse und andere kleine Nager, 63.500 Eichhörnchen, gestreifte und ungestreifte, 470 Hirsche und Rehe, 30 Füchse und fünf Schwarzbären.
Die großen Verlierer in dieser Region sind die Singvögel. Der schmerzlichste Verlust war sicher der des Carolina-Sittichs, eines herrlichen, harmlosen Vogels, der als wildlebendes Tier zahlenmäßig ursprünglich nur noch von der in unvorstellbaren Mengen vorhandenen Wandertaube übertroffen wurde. (Als die ersten Siedler nach Amerika kamen, gab es schätzungsweise neun Milliarden Wandertauben – mehr als doppelt so viel wie alle Vögel zusammengenommen, die heute in Amerika zu finden sind.) Beide Arten wurden durch exzessives Jagen ausgerottet – die Wandertaube aus purer Lust der Jäger, gleich Dutzende von Vögeln beim ziellosen Herumballern vom Himmel zu holen.
Außerdem dienten die Tiere als Schweinefutter. Der Carolina-Sittich hatte keine Chance, weil er das Obst der Farmer fraß und auffallende Federn besaß, die als Hutschmuck bei den Damen Gefallen fanden. 1914 verendeten in einem Abstand von nur wenigen Wochen die letzten beiden Vertreter dieser Gattung in Gefangenschaft.
Ein ähnliches Schicksal ereilte die entzückende Bachman-Grasmücke. Der ohnehin seltene Vogel soll einen der lieblichsten Gesänge gehabt haben. Jahrelang war das Tier nicht aufzuspüren, dann entdeckten 1914 zufällig zwei Vogelfänger unabhängig voneinander innerhalb von zwei Tagen je ein Exemplar. Beide erschossen ihre Beute – saubere Arbeit, Jungs! –, und damit war es um die Bachman-Grasmücke geschehen. Es ist anzunehmen, daß noch andere Vögel von der Bildfläche verschwanden, ohne daß es überhaupt jemand bemerkt hat. John James Audubon hat zum Beispiel drei Vogelarten gemalt – den kleinköpfigen Fliegenschnäpper, die Mönchsgrasmücke und die Blue-Mountain-Grasmücke –, die seitdem nicht wieder gesichtet wurden. Das gleiche gilt für die Townsend-Ammer, von der es nur ein ausgestopftes Exemplar im Smithsonian Institute in Washington gibt.
Zwischen 1940 und 1980 ging der Bestand der Zugsingvögel im Osten der Vereinigten Staaten um 50 Prozent zurück (was größtenteils auf den Verlust von Brutplätzen und anderen lebenswichtigen Winterquartieren in Lateinamerika zurückzuführen ist); er sinkt manchen Schätzungen zufolge pro Jahr um weitere drei Prozent. 70 Prozent aller Vogelarten haben seit den 60er Jahren Bestandsverluste erlitten.
Heutzutage herrscht ziemliches Schweigen im Wald.
Am späten Nachmittag trat ich aus dem dichten Wald auf eine Forststraße, die offenbar nicht mehr in Benutzung war. Mitten auf der Straße stand ein alter Mann mit Rucksack und einem merkwürdigen, verwirrten Ausdruck im Gesicht, als wäre er
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