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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Naherholungsgebiet ist heute ein geschützter Korridor.«
    Solche Sprüche konnte ich allmählich nicht mehr hören. Ich weiß, daß der Appalachian Trail einem die Wildnis näherbringen soll, und ich sehe ein, daß es zahlreiche Gebiete gibt, wo der Eingriff des Menschen eine Tragödie bedeuten würde, aber manchmal, so wie hier, reagiert die ATC geradezu pathologisch auf menschlichen Kontakt. Ich hätte nichts dagegen gehabt, zur Abwechslung mal durch ein Dörfchen zu wandern, vorbei an Farmen, statt durch einen totenstillen »geschützten Korridor«.
    Zweifellos hat das alles mit unserem historisch begründeten Drang, die Wildnis zu zähmen und auszubeuten, zu tun, aber Amerikas Einstellung zur Natur ist in vieler Hinsicht sehr sonderbar. Ich konnte nicht umhin, meine Erfahrungen auf dem AT mit einer anderen Wanderung zu vergleichen, die ich ein paar Jahre zuvor durch Luxemburg gemacht hatte, und zwar im Auftrag einer Zeitschrift und zusammen mit meinem Sohn. Luxemburg eignet sich hervorragend zum Wandern, besser als man denkt. Es gibt viel Wald, aber auch Burgen, Bauernhäuser, Dörfer mit Kirchtürmen und romantische Flußtäler – Europa im Paket sozusagen. Die Wanderwege, die wir entlanggingen, führten hauptsächlich durch Wald, tauchten aber in Abständen wieder daraus hervor und verliefen über sonnenbeschienene Nebenstraßen, über Zauntritte durch Felder und Weiler. Irgendwann im Laufe des Tages kamen wir immer an einer Bäckerei oder einer Post vorbei, hörten die Türglocke eines Ladens bimmeln und konnten Gesprächen lauschen, von denen wir kein Wort verstanden. Jeden Abend kehrten wir in einer Pension ein und aßen in einem Restaurant, saßen zusammen mit anderen Leuten an einem Tisch. Wir lernten Luxemburg kennen, nicht nur seine Bäume. Es war herrlich, und zwar deswegen, weil die reizende kleine Besichtigung nahtlos und mühelos in die Wandertour überging und umgekehrt.
    In Amerika dagegen ist die Schönheit der Natur zu diversen Ausflugszielen verkommen, die man mit dem Auto aufsucht. Und was die Natur selbst betrifft, heißt es entweder/oder – entweder macht man sie sich gnadenlos Untertan, wie im Fall von Tocks-Damm und in tausend anderen Fällen, oder man vergöttert sie als etwas Heiliges, Entrücktes, Losgelöstes, wie den Ap-palachian Trail. Selten kommt ein Vertreter der einen oder anderen Seite auf die Idee, daß Mensch und Natur auch zusammengehen können, zu beiderseitigem Vorteil, daß eine elegantere Brücke über den Delaware River, um nur ein Beispiel zu nennen, die grandiose Umgebung erst richtig zur Geltung bringen kann, oder daß der AT interessanter und attraktiver sein könnte, wenn er nicht ausschließlich durch die Wildnis verliefe, sondern wenn er den Wanderer ab und zu auch mal an weidenden Kühen oder bestellten Feldern vorbeiführte.
    Ich hätte es viel schöner gefunden, wenn im AT-Führer zu lesen gewesen wäre: Dank den Bemühungen der Conference konnte im Delaware River Valley der Ackerbau wieder eingeführt und der Wanderweg neu verlegt werden, so daß er jetzt 25 Kilometer Uferweg umfaßt, denn ehrlich gesagt: Manchmal kann man auch von Bäumen genug haben.
    Trotzdem sollte man das Positive hervorheben. Wenn es nach dem Army Corps of Engineers gegangen wäre, müßte ich jetzt zu meinem Auto zurückschwimmen, und ich war dankbar, daß mir wenigstens das erspart blieb.
    Auf jeden Fall wurde es höchste Zeit für mich, mal wieder richtig zu wandern.
     

16. Kapitel
     
    1983 behauptete ein Mann steif und fest, ihm sei beim Wandern in den Berkshire Hills in Massachusetts, ein Stück abseits des Appalachian Trail, ein Berglöwe über den Weg gelaufen. Das klang beunruhigend und gleichzeitig unglaubwürdig, war doch seit 1903, als das letzte Exemplar dieser Gattung im Staat New York erschossen worden war, in den USA kein Berglöwe mehr gesichtet worden.
    Bald kamen aus allen Teilen New Englands ähnlich lautende Berichte. Ein Mann hatte auf einer Nebenstraße in Vermont zwei junge Tiere auf einer Böschung spielen sehen, vor zwei anderen Wanderern war ein Muttertier mit zwei Jungen über eine Wiese in New Hampshire spaziert. Jedes Jahr gab es ein halbes Dutzend oder noch mehr ähnlich lautende Berichte, und alle stammten von glaubwürdigen Zeugen. Im Winter 1994 ging ein Farmer in Vermont über seinen Hof, um Futter in eine Vogelkrippe zu streuen, als er in etwa 20 Meter Entfernung drei Berglöwen entdeckte. Er sah die Tiere minutenlang wie versteinert an –

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