Picknick mit Bären
verlangte einen Hubschrauber, er hinke schon einen Tag hinter seinem Zeitplan her und befürchte, einen wichtigen geschäftlichen Termin zu verpassen. In dem Artikel war auch von Leuten die Rede, die sich trotz Satellitennavigation verirrt hatten. Sie konnten haargenau ihre Position angeben, 36,2 Grad Nord, 17,48 Grad West oder so, hatten aber nicht den geringsten Schimmer, was das bedeutete, da sie weder Kompaß noch Karten dabei hatten und offenbar auch ihren Verstand zu Hause gelassen hatten. Meine Bekanntschaft auf dem Stratton hätte ganz gut in diesen Verein gepaßt. Ich fragte ihn, ob ein Abstieg bei einer Sonnenstrahlung von 18,574 ratsam sei.
»Ja, ja«, antwortete er ganz ernsthaft. »Sonneneinstrahlungsmäßig besteht heute nur geringes Risiko.«
»Da bin ich aber froh«, sagte ich, ebenfalls ganz ernsthaft und verabschiedete mich von ihm und dem Berg. Ich eroberte mir Vermont in mehreren aufeinanderfolgenden, angenehmen Tagestouren, nicht mit irgendeinem elektronischen Gerät, sondern mit den Füßen und den köstlichen Lunchpaketen, die mir meine Frau jeden Abend vor dem Zubettgehen machte und im obersten Fach des Kühlschranks deponierte. Obwohl ich mir hoch und heilig geschworen hatte, nie wieder mit Hilfe des Autos meine Etappenwanderungen zu absolvieren, stellte sich heraus, daß das hier ganz angebracht war, ja, daß es mir sogar sehr entgegenkam. Ich konnte den ganzen Tag wandern und zum Abendessen wieder zu Hause sein. Ich konnte in meinem eigenen Bett schlafen und mich jeden Tag mit sauberer, trockener Kleidung und mit einem üppigen Lunchpaket auf den Weg machen. Es war eigentlich ideal.
So kam es, daß ich drei -wunderbare Wochen lang zwischen den Bergen und meinem Haus hin und her pendelte. Ich stand jeden Morgen bei Sonnenaufgang auf, steckte mein Lunchpaket ein und fuhr über den Connecticut River nach Vermont. Ich stellte den Wagen ab und stieg einen hohen Berg hinauf oder stapfte über sanfte, grüne Hügel. Irgendwann, wenn mir danach war, meist gegen elf Uhr, setzte ich mich auf einen Stein oder Baumstumpf, holte mein Lunchpaket heraus und untersuchte erstmal den Inhalt. Und dann folgte je nachdem: »Hmm, Erdnußbutter! Meine Lieblingsplätzchen!« oder »Oh, lecker, heute wieder kalter Braten!« Ich biß gierig hinein, mummelte still vor mich hm und dachte an die vielen Berggipfel, die ich mit Katz erklommen hatte. Was hätten wir da nicht für so eine herzhafte Mahlzeit gegeben! Anschließend packte ich alles wieder ordentlich zusammen, verstaute es in meinem Rucksack und wanderte weiter, bis es Zeit wurde, Feierabend zu machen und nach Hause zu gehen. So vergingen die letzte Juni- und die ersten beiden Juliwochen.
Ich erwanderte mir Stratton Mountain und Bromley Mountain, Prospect Rock und Spruce Peak, Baker Peak und Griffith Lake, White Rocks Mountain, Button Hill, Killington Peak, Gifford Woods State Park, Quimby Mountain, Thistle Hill und schlenderte zum Schluß gemütliche 17 Kilometer von West Hartford nach Norwich. Diese Wanderung führte vorbei an der Happy Hill Cabin, der ältesten und wahrscheinlich malerischsten Schutzhütte des AT – die kurz darauf von einigen Angestellten der Trail Conference, die für solche Sentimentalitäten nicht das geringste Verständnis haben, plattgemacht wurde. Norwich ist hauptsächlich deswegen erwähnenswert, weil die Stadt als Vorlage für die Bob Newhart Show diente (Bob Newhart betreibt in der Fernsehserie eine Kneipe, und die einheimischen Gäste sind alle auf liebenswerte Weise ein bißchen schlicht im Gemüt). Außerdem ist es die Heimatstadt von Alden Partridge, von dem nie ein Mensch gehört hat.
Partridge wurde 1755 in Norwich geboren und war ein leidenschaftlicher Wanderer, vermutlich der erste Mensch auf der ganzen Welt, der aus purer Freude auch weite Entfernungen zu Fuß zurücklegte. 1785 wurde er in dem für damalige Verhältnisse unerhört jugendlichen Alter von 30 Jahren Leiter von West Point. Dort wurde er allerdings in irgendeine Auseinandersetzung verwickelt und zog sich anschließend nach Norwich zurück, wo er ein Konkurrenzunternehmen gründete, die American Literary, Scientific and Military Academy Er prägte den Begriff physical education – Leibeserziehung, und er unternahm mit seinen entsetzten jungen Schülern Gewaltmärsche von 50, 60 Kilometern in den benachbarten Bergen. Zwischendurch begab er sich allein auf noch viel gewagtere Unternehmungen. Einmal ging er, was keine Ausnahme war, 180 Kilometer weit,
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