Picknick mit Bären
und seine Brille. Die Kanus, die unweit der Fundstelle auf dem Wasser schaukelten, waren unbeschädigt, und in der Nacht hatte ruhiges, mildes Wetter geherrscht. Aus einem unerklärlichen Grund hatten die sechs ihre Kanus verlassen und sich in voller Montur in das kalte Wasser des Sees gestürzt, wo sie umgekommen waren. »Als hätten sie sich friedlich schlafen gelegt«, wie sich ein Mitglied des Suchtrupps ausdrückte. In gewisser Weise traf das zu.
Entgegen landläufiger Meinung sterben nur relativ wenige Hypothermieopfer in Extremsituationen, etwa, wenn sie sich in einem Schneesturm verirrt haben oder sich gegen beißende arktische Kälte wehren mußten. Zunächst einmal gehen nur relativ wenige Menschen bei so einem Wetter überhaupt vor die Tür, und wenn, dann sind sie im allgemeinen gut ausgerüstet. Die meisten Hypothermieopfer sterben auf viel banalere Weise, in gemäßigten Jahreszeiten und bei Temperaturen, die keineswegs nahe dem Nullpunkt liegen. In der Regel werden sie von einem unvorhergesehenen Ereignis oder gleich von mehreren, gleichzeitig eintretenden Veränderungen überrascht – plötzlicher Temperaturabfall, ein kalter Platzregen, die Erkenntnis, daß sie sich verirrt haben – für die sie psychisch und physisch mangelhaft ausgestattet sind. Fast immer komplizieren sie das Problem, indem sie eine Dummheit begehen – sie verlassen einen gut markierten Weg, um eine Abkürzung zu suchen, und geraten dabei nur noch tiefer in den Wald, wenn es angebrachter gewesen wäre, an einer Stelle zu bleiben; sie waten durch Flüsse, wodurch sie nur naß werden und ihr Körper noch stärker unterkühlt wird.
Dieses traurige Schicksal ereilte auch Richard Salinas, der 1990 zusammen mit einem Freund im Pisgah National Forest in North Carolina wanderte. Von der plötzlich einsetzenden Dämmerung überrascht, machten sie sich auf den Rückweg zu ihrem Wagen, wurden unterwegs aber aus irgendeinem Grund getrennt. Salinas war ein erfahrener Hiker, er brauchte nur den gut gekennzeichneten Wanderweg entlang zurück zum Parkplatz zu gehen. Er ist nie dort angekommen. Drei Tage später fand man zuerst seine Jacke und seinen Rucksack, kilometerweit vom Weg entfernt, tief im Wald. Seine Leiche wurde zwei Monate später entdeckt, aufgespießt von Ästen in dem kleinen Linville River. Vermutlich hatte er den Pfad auf der Suche nach einer Abkürzung verlassen, sich verirrt, war immer tiefer in den Wald hineingestürmt, in Panik geraten, weitergelaufen, bis schließlich die Hypothermie ihn seiner Sinne beraubte.
Hypothermie ist eine Art schleichendes, heimtückisches Trauma. Es überkommt einen buchstäblich schrittweise: Die Körpertemperatur sinkt, und die natürlichen Reaktionen werden schwerfällig und unkoordiniert. In diesem Zustand hat Salinas seine Ausrüstung abgelegt und wenig später aus lauter Verzweiflung die unvernünftige Entscheidung getroffen, den durch Regenwasser angeschwollenen Fluß zu durchqueren. Unter normalen Umständen hätte er erkannt, daß ihn das nur noch weiter vom Ziel entfernte. In der Nacht, als er sich verirrte, war es trocken bei etwa fünf Grad Celsius. Wenn er seine Jacke anbehalten hätte und nicht ins Wasser gestiegen wäre, hätte er eine kalte, ungemütliche Nacht verbracht und später etwas zu erzählen gehabt. Statt dessen verlor er sein Leben.
Ein Mensch, der unter Hypothermie leidet, durchläuft mehrere aufeinanderfolgende Phasen, beginnend – wie unschwer zu erraten ist – mit einem leichten und zunehmend heftiger werdenden Zittern des Körpers, der versucht, durch Muskelkontraktionen Wärme zu erzeugen; danach folgt äußerste Erschöpfung, Trägheit in den Bewegungen, ein gestörtes Gefühl für Zeit und Entfernungen und eine zunehmend hoffnungslose Verwirrtheit, die aus dem Unvermögen heraus, das Naheliegende zu erkennen, zu unüberlegten und unlogischen Entscheidungen führt. Das Opfer verliert allmählich immer mehr die Orientierung und erliegt gefährlichen Halluzinationen – einschließlich der grausamen Fehleinschätzung, daß es nicht friert, sondern geradezu verbrennt. Viele Opfer reißen sich deshalb die Kleider vom Leib, werfen die Handschuhe fort oder kriechen aus ihren Schlafsäcken. Die Annalen der Todesfälle bei Wanderungen sind voller Geschichten von halbnackten, in Schneeverwehungen direkt vor ihrem Zelt aufgefundenen Hikern. In dieser Phase hört der Schüttelfrost auf, denn der Körper hat längst aufgegeben, und Apathie setzt ein. Der Herzschlag
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