Picknick mit Bären
von Norwich nach Williamstown, Massachusetts (ungefähr die Route, die ich gerade in gemütlichen Etappen absolviert hatte), stapfte den Mount Greylock hoch und spazierte den gleichen Weg wieder zurück nach Hause. Für die Wanderung hin und zurück brauchte er lediglich vier Tage – und das zu einer Zeit, das dürfen wir nicht vergessen, als es noch keine angelegten Wege und hilfreichen Markierungen gab. Auf diese Weise erklomm er praktisch jeden Gipfel in New England. Eigentlich hat er eine Gedenktafel in Norwich verdient, um die wenigen Wanderer, die noch Richtung Norden -weitergehen, moralisch aufzubauen, aber leider gibt es keine solche Tafel.
Von Norwich sind es ungefähr anderthalb Kilometer zum Connecticut River. Eine angenehme, unauffällige Brücke aus den 30er Jahren führt zum Bundesstaat New Hampshire und der Stadt Hanover am gegenüberliegenden Ufer. Die Straße von Norwich nach Hanover war früher mal eine gewundene, zweispurige Allee – eine der typischen, verlockenden Verbindungsstraßen zwischen zwei, nur anderthalb Kilometer auseinanderliegenden alten Städtchen, wie man sie in New England erwartet. Dann kam irgendein Straßenbauer oder sonst jemand auf die grandiose Idee, die alte Landstraße zu einer breiten, mehrspurigen Schnellstraße auszubauen, damit sich die anderthalb Kilometer sagenhafte acht Sekunden schneller zurücklegen ließen und die Autofahrer keine Qualen mehr erlitten, weil sie warten mußten, wenn der Vordermann in eine Nebenstraße abbiegen wollte. Jetzt sollte es überall Ausfahrten geben, so groß, daß auch ein Schwertransporter mit Titanrakete um die Kurve käme, ohne die Bordsteinkante zu rammen oder den lebenswichtigen Verkehrsfluß zu stören.
Die Straße wurde also zu einem breiten, schnurgeraden Highway ausgebaut, teilweise sechsspurig, mit Betonleitplanken in der Mitte und überdimensionalen Natriumdampflampen, die den Nachthimmel kilometerweit erleuchten. Der Bau hatte den Effekt, daß die Brücke zu einer Art Flaschenhals wurde, an der sich die Straße auf zwei Spuren verengte. Manchmal kamen zwei Autos gleichzeitig an der Brücke an, und einer mußte dem anderen die Vorfahrt lassen – man stelle sich das mal vor! Deshalb geht man jetzt, während ich dies niederschreibe, gerade daran, diese überflüssig reizvolle, alte Brücke gegen eine andere, größere auszutauschen, die dem Betonzeitalter eher entspricht. Noch dazu wird die Straße verbreitert, die einen kleinen Hügel hinauf ins Stadtzentrum und zu dem hübschen, historischen Stadtpark von Hanover führt. Das bedeutet natürlich, daß die Bäume rechts und links der Straße gefällt und die meisten Vorgärten für den Bau von Stützmauern aus Beton drastisch verkürzt werden müssen. Selbst ein Angestellter des Straßenbauamtes müßte zugeben, daß das Ergebnis keineswegs vorzeigbar ist, nichts, was man gern vorn auf einen Fotokalender »Malerisches New England« drucken würde, aber es verkürzt eben die gefährliche Reise von Norwich nach Hanover noch mal um vier Sekunden, und nur darauf kommt es ja an.
Das alles ist für mich nicht ohne Bedeutung, zum einen, weil ich in Hanover wohne, zum anderen, weil ich im 20. Jahrhundert lebe. Zum Glück verfüge ich über eine lebhafte Phantasie, so daß ich mir bei meinem Gang von Norwich nach Hanover keine mehrspurige, befahrene Schnellstraße vorstellte, sondern eine mit Bäumen, Hecken und Wildpflanzen bestandene, schattige Landstraße, geschmückt mit einer stattlichen Reihe wohlproportionierter Straßenlaternen, von denen jeweils kopfüber ein Angestellter des Straßenbauamtes baumelt. – Und sogleich fühlte ich mich viel besser.
17. Kapitel
Von allen Gefahren, die einem draußen in der freien Natur zum Verhängnis werden können, ist keine so unheimlich und unvorhersehbar wie die Hypothermie. Es gibt fast keinen Fall von Kältetod, dem nicht in irgendeiner Hinsicht etwas Mysteriöses und Unwahrscheinliches anhaftet. David Quammen berichtet davon in seinem Buch Natural Acts.
Im Spätsommer 1982 verbrachten vier Jugendliche und zwei Erwachsene ihren Urlaub im Banff National Park mit Kanufahren. Eines Abends kehrten sie nicht in ihr Zeltlager zurück. Am nächsten Morgen machte sich ein Suchtrupp auf den Weg und fand die Vermißten in ihren Schwimmwesten tot auf einem See treibend, mit dem Gesicht nach oben und unversehrt. Nichts an ihren Körpern deutete auf eine Notlage oder auf eine Panik hin. Einer der Männer trug sogar noch seine Mütze
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