Pilger Des Hasses
kringelte und die Wangen umrahmte wie angelegte Flügel. Jung und doch gut ausgebildet war das Gesicht, Ost und West waren in ihm vereint. Glattrasiert war der Junge wie ein Normanne und olivenfarben wie ein Syrer - Cadfaels Erinnerungen an das Heilige Land verschmolzen in diesem einen Gesicht. Der Lieblingsknappe von Laurence d'Angers, mit dem er vom Kreuzzug heimgekehrt war. Olivier de Bretagne.
Wenn sein Herr mitsamt Gefolge bei der Kaiserin war, wo mochte dann Olivier sein? Der Abt war ihm vielleicht sogar begegnet, natürlich ohne ihn zu erkennen, oder er hatte ihn neben seinem Herrn reiten sehen und einen Moment lang seine Schönheit bewundert. Nur wenige Gesichter heben sich so von der Masse ab, dachte Cadfael; Gottes Finger kann sie nicht erwählen, aber er kann sie zeichnen, damit sie bemerkt werden, und seine Vertreter auf Erden sind die ersten, die es bemerken.
Und dieser Rainald Bossard, der nun tot ist, ein Ehrenmann, der einem ehrenhaften Gegner geholfen hat, war Oliviers Kamerad, der dem gleichen Herrn diente und sich zum gleichen Dienst verpflichtet hatte. Sein Tod mußte Olivier bekümmern.
Ein Kummer für Olivier ist auch ein Kummer für mich, eine Missetat an Olivier ist eine Missetat an mir. So weit Winchester auch entfernt ist, ich muß den Mord in dieser dunklen Straße beklagen, weil ein Mann für eine edelmütige Tat gestorben ist, und er starb nicht vergebens, weil der Schreiber Christian überlebte und zu seiner Herrin, der Königin, zurückkehren konnte, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte.
Das leise Rascheln und Rühren hinter den leichten Trennwänden von Cadfaels Zelle war schon lange verstummt, als er sich von den Knien erhob und die Sandalen abstreifte.
Die kleine Lampe an der Nachttreppe warf einen trüben Schein zu den Deckenbalken hinauf, die gräulich über seiner dunklen Zelle verliefen. Wie lange war diese Zelle jetzt sein Heim?
Achtzehn oder neunzehn Jahre schon? Er konnte sich nicht genau erinnern. Es war, als hätte ein Teil von ihm, sein Herz, sein Verstand oder seine Seele, was auch immer es war, sich nicht so sehr hierher zurückgezogen, sondern sei vielmehr heimgekommen, um von einem Erbe Besitz zu ergreifen, das ihm von Geburt an gehört hatte. Und doch erinnerte er sich voller Dankbarkeit und Freude an die Jahre, als er durch die Welt gereist war, an die glückliche Kindheit und die unbeschwerte Jugend, an das Kreuz und die Leidenschaft der Kreuzfahrten, an die Frauen, die er gekannt und geliebt hatte, an seine Jahre als Seemann vor der Küste des Heiligen Königreichs von Jerusalem, an die Pilgerschaft, die ihn schließlich hier zu seiner letzten Zuflucht geführt hatte. Nichts war vergebens gewesen, wie dumm und schlimm es auch damals ausgesehen hatte, nichts war verloren, nichts sinnlos, denn irgendwie hatte es ihn auf die kleine Kammer vorbereitet, in der er jetzt diente und ruhte. Gott hatte ihm ein Zeichen geschickt: Er mußte nichts bereuen, sondern nur alles offenlegen und dazu stehen. Vor Gott, nicht vor den Menschen.
Er lag still in der Dunkelheit, ausgestreckt und reglos wie ein Toter im Sarg, doch er war entspannt, die Arme lagen locker an seinen Seiten, und mit halbgeschlossenen Augen träumte er, über sich die Decke, zwischen deren Balken das schwache Licht spielte.
In dieser Nacht gab es keine Blitze, nur ein beruhigend gleichmäßiges Donnergrollen vor und nach der Morgenmette und den Laudes; es war so harmlos, daß viele Brüder es überhaupt nicht bemerkten. Cadfael hörte es, als er aufstand, und er hörte es, als er sich wieder zur Ruhe legte. Es schien wie eine Erinnerung und Bekräftigung, daß Winchester tatsächlich näher an Shrewsbury gerückt war, und es schenkte ihm Trost. Sein Kummer wurde im Himmel nicht übersehen, sondern beachtet, und er konnte sich darauf freuen, seinen Teil zum Eintreiben der Schuld an Rainald Bossard beizutragen.
Derart beruhigt schlief er endlich ein.
3. Kapitel
Am siebzehnten Juni wurde St. Winifreds mit kostbaren Silberornamenten geschmückter und mit Blei verkleideter Eichensarg von seinem Ehrenplatz gehoben und mit feierlichem Ernst zu seinem vorübergehenden Ruheplatz in der Kapelle des Hospizes von St. Giles getragen, wo er wie schon mehrmals bis zum Feiertag am zweiundzwanzigsten Juni bleiben sollte. Das Wetter hielt sich, es war sonnig und schön, fast wolkenlos und doch kühl genug für einen Fußmarsch. Ein ideales Wetter für die Pilger, die vom achtzehnten Juni an eintrafen; zunächst
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