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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Sein Herz flog der energischen, kraftvollen Frau entgegen, während er sich etwas Mitgefühl für ihre behüteten Küken erlaubte, die derart unter den weiten, erstickenden Schwingen verstaut wurden.
    Als er am Nachmittag in seinem kleinen Königreich damit beschäftigt war, die Medikamente zusammenzustellen, die er am nächsten Morgen durch die Vorstadt nach St. Giles mitnehmen mußte, um sicherzustellen, daß während des Festes genügend Vorräte dort wären, dachte er weder an sie noch an einen anderen Bewohner des Gästehauses, denn bislang hatte niemand einen Anlaß gefunden, seine Hilfe zu erbitten. Er packte gerade Pastillen in ein kleines Kästchen - Tabletten für wunde, trockene Kehlen -, als ein massiger Schatten in die offene Tür seines Verschlages fiel, und eine frische helle Stimme sagte: »Ich bitte um Verzeihung, Bruder, aber Bruder Denis riet mir, zu Euch zu kommen, und er schickte mich her.«
    Und da stand sie, füllte breitschultrig die Tür aus, hatte die Hände vor dem Bauch verschränkt, den Kopf erhoben und den Blick voll auf ihn gerichtet. Ihre großen, weit auseinanderstehenden Augen waren hellblau und nur von wenigen bleichen Wimpern gerahmt, doch sie blickten fest und frei heraus.
    »Ihr müßt wissen, Bruder, daß es um meinen jungen Neffen geht«, fuhr sie selbstbewußt fort. »Um den Sohn meiner Schwester, die so dumm war, sich davonzumachen und einen walisischen Tunichtgut aus Builth zu heiraten. Nun ist ihr Mann tot und sie selber auch, das arme Mädchen, und ihre beiden Kinder blieben verwaist zurück, mit niemandem außer mir, der sich um sie kümmern kann. Und da auch mein Mann gestorben ist, mußte ich das Handwerk weiterführen und durfte nie ein Kind mein eigen nennen. Nicht, daß ich nicht mit der Arbeit und den fahrenden Händlern zurechtkäme, denn in den letzten zwanzig Jahren habe ich wohl gelernt, was es als Tuchmacherin zu lernen gibt, aber ich hätte doch gern einen eigenen Sohn gehabt. Nun, es sollte nicht sein, und der Sohn meiner Schwester ist mir herzlich willkommen, ob er nun gesund ist oder nicht, denn er ist der liebste Junge, den Ihr je gesehen habt. Wißt Ihr, Bruder, er hat solche Schmerzen. Ich sehe ihn nicht gern so leiden, wenn er sich auch nie beklagt.
    Deshalb komme ich zu Euch.«
    Cadfael ergriff sofort die Gelegenheit, als sie die erste Lücke in ihrem Wortschall ließ, um einige Worte einzuwerfen.
    »Kommt herein, meine Dame, und seid willkommen. Sagt mir, von welcher Art die Schmerzen Eures Jungen sind, und ich will sehen, was ich für Euch und ihn tun kann. Aber am besten sollte ich ihn wohl selbst sehen und mit ihm reden, denn er weiß ja am besten, was ihm wehtut. Setzt Euch, macht es Euch bequem, und erzählt mir von ihm.«
    Sie trat selbstbewußt ein und setzte sich, indem sie energisch die weiten Röcke ausbreitete, auf die Bank an der Wand. Sie musterte interessiert und neugierig die vollen Regale, die herabbaumelnden, getrockneten Kräuter, die Kohlenpfanne, die Töpfe und Flaschen, schien aber in keiner Weise von Cadfael und seinen Geheimnissen eingeschüchtert.
    »Ich komme aus dem Tuchmacherland unten in Campden, Bruder. Mein Gatte hieß Weaver und war Tuchmacher wie vor ihm sein Vater und sein Großvater, und mein Name ist Alice Weaver, und ich führe die Arbeit fort, wie er sie getan hat. Aber meine junge Schwester brannte mit einem Waliser durch, und die beiden sind jetzt tot, und ich habe die Kinder zu mir genommen. Das Mädchen ist achtzehn Jahre alt, eine brave, hart arbeitende Jungfer, und ich glaube doch, daß wir bald einen anständigen Mann für sie finden werden, wenn ich auch ihre Hilfe sehr vermissen werde, denn sie ist mittlerweile recht geschickt und stark und gesund, ganz anders als der Junge.
    Sie ist nach einer ausländischen walisischen Heiligen benannt, Melangell, wenn Ihr den Namen je gehört habt!«
    »Ich bin selbst Waliser«, erwiderte Cadfael fröhlich. »Ich weiß, unsere walisischen Namen machen Euren englischen Zungen schwer zu schaffen.«
    »Ah, nun, der Junge bekam jedenfalls einen Namen, der kurz und einfach ist. Rhun heißt er. Er ist jetzt sechzehn, zwei Jahre jünger als seine Schwester, aber ihm fehlt ihre Lebhaftigkeit, dem armen Kerl. Er ist gut gewachsen und hübsch anzusehen, aber in seiner Kindheit geschah etwas mit seinem rechten Bein; es ist verwachsen und schwach, so daß er nur den großen Zeh aufsetzen kann, und auch den nur zur Seite gedreht. Er kann ihn nicht belasten, nur gerade eben

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