Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
komme
ich mit, ich habe einen Schlüssel.«
Dies hatte
für mich zwei Vorteile. Ich konnte mich nicht verlaufen und brauchte am Eingang
des Bauamtes keine Schwierigkeiten zu erwarten. Während wir die Kleine Pfaffengasse
entlangrannten, prägte ich mir die Lage von außen ein. Zuerst kam die Engelsgasse,
die mit einer Metallabsperrung zur schikanösen Sackgasse gemacht wurde, dann folgten
zwei alte aneinander versetzte Gebäude mit rechteckigem Grundriss, die mit einem
Verbindungsgang im Obergeschoss verbunden waren.
Frau Knebinger
rannte geradeaus auf den Kreisverkehr am Domplatz zu. Sie bog rechts ab in eine
breite Hofeinfahrt. Das große Eingangsportal war geschlossen. Sie zückte ihren Schlüsselbund,
und Sekunden später waren wir drinnen. Wir befanden uns in einer riesigen Eingangshalle.
An den Wänden hingen überlebensgroße Gemälde von historischen Personen, ich vermutete
ehemalige Bischöfe. Eine herrschaftlich breite Treppe führte nach oben.
»Machen
Sie langsam«, schnaufte ich. »Vielleicht ist der Schütze noch oben. Warten Sie hier
im Vorraum, bis meine Kollegen kommen.«
Ihr Mut
schien sie verlassen zu haben, sie blieb abrupt stehen. Für mich stand viel auf
dem Spiel. Wie immer war ich unbewaffnet, hoffentlich war dies dem Täter nicht bekannt.
Der Schütze musste über Ortskenntnisse verfügen, soviel war mir klar. Wenn der Schuss
auf mich im Zusammenhang mit meinen Ermittlungen zu sehen war, und davon war ich
überzeugt, musste der Täter aus dem Umfeld des Ordinariats oder des Verlags stammen.
Dies schränkte die Anzahl der Verdächtigen zwar drastisch ein, brachte mich aber
zunächst nicht weiter. Sicherlich gab es in den diversen bistümlichen Organisationen
einige 100 Mitarbeiter, von denen ich bisher nur eine gute Handvoll persönlich kannte.
Zählte der Täter zu dieser Handvoll oder hatte er sich bislang stets im Hintergrund
gehalten, um nicht in meinen Fokus zu geraten? Wie auch immer, es konnte gut sein,
dass er – oder war es gar eine sie? – sich in diesem Gebäude versteckt hielt.
Am Treppenende
angekommen, sah ich bereits den Flur, der den Übergang zu dem zweiten Gebäude, aus
dem ich beschossen wurde, darstellte.
Der Flur
machte einen Rechtsknick, und dann sah ich, wie aus der letzten Tür auf der rechten
Seite eine Frau herauskam. Sie erschrak, als sie mich sah.
»Wer sind
Sie?«
»Polizei.
Haben Sie in den letzten Minuten auf diesem Stockwerk weitere Personen gesehen?«
»Was ist
passiert? Ich habe gerade Geräusche aus dem Dachboden gehört.«
»Gehen Sie
wieder in Ihr Büro und verschließen Sie die Tür«, sagte ich. In diesem Moment sah
ich die enge und sehr steile Holztreppe, die nach oben führte.
»Wo geht’s
da hin?«
»Auf den
Speicher«, antwortete sie. »Dort ist aber nix.«
Ich nahm
die Treppe und musste höllisch aufpassen, nicht abzurutschen. Solche Aufgänge würde
die Berufsgenossenschaft heutzutage nicht mehr dulden.
Die Speichertür
stand offen. Durch mehrere teils blinde Dachfenster fiel etwas Licht herein. Der
Dachboden war im Rohzustand, und man sah ihm die Ungenutztheit der vergangenen Jahrzehnte
an. Mühsam unterdrückte ich einen Niesanfall. Das zahlreich vorhandene Gerümpel,
zwei Kamine und ein alter Stromverteilerkasten boten sich als Versteck an. Doch
so blöd würde der Täter niemals sein. Ich entdeckte ein offen stehendes Dachfenster,
das in Richtung Engelsgasse zeigte. Vorsichtig, um möglichst wenige Spuren zu verwischen,
ging ich in Richtung dieses Fensters. Auf der anderen Straßenseite konnte ich Frau
Moritz erkennen, die die zerschossene Scheibe betrachtete. Ich dachte nach. Ein
Scharfschütze hätte auf diese Entfernung niemals danebengeschossen, zumal ich mich
zum Zeitpunkt des Schusses nicht bewegt hatte. Ein leises Quietschen unterbrach
meine Gedankengänge. Auf der gegenüberliegenden Traufseite entdeckte ich in der
Dachschräge eine Metalltür, die sich leicht bewegte. Mir kam wieder ein James Bond
Film in den Sinn. Ich vermutete hinter der Tür einen Hubschrauberlandeplatz. Die
Realität war weniger spannend, aber trotzdem beeindruckend. Nachdem ich die Tür
ruckartig geöffnet hatte, sah ich einen Fluchtweg, der oberhalb des Verbindungsflurs
zum Dach des anderen Gebäudes führte. Der Steig bestand lediglich aus einem Gitterrost
und einem angerosteten Handlauf. Für nicht Schwindelfreie war dieser Weg im Notfall
ein Desaster. Ich setzte einen Fuß auf den Gitterrost, um die Statik zu prüfen.
Der Test endete positiv,
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