Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
der sich öffnenden Tür zu uns hereinschaute und für einen kurzen Moment
verblüfft wirkte. Mit offenstehendem Mund und ohne Begrüßung ging er weiter. Nicht
einmal seinen Standardspruch bekamen wir zu hören.
Nönn bekräftigte,
dass er den ganzen Tag im Verlag sein würde, da er mit seiner Artikelreihe über
die Domrestaurierung im Verzug wäre. Fratelli ließ verlauten, dass er später ein
kurzes Treffen im Dom hätte und den Rest des Tages zwischen seinem Büro und der
Kaffeemaschine pendeln würde.
»Herr Wolf,
können wir heute ausnahmsweise einen kleinen Umweg um den Dom nehmen, anstatt den
kürzesten Weg über den Domplatz?«
»Von mir
aus«, meinte dieser. »Gehen wir halt durch den Dompark spazieren. Wollen Sie sich
das Gebäude von außen anschauen? Die Außenwände werden regelmäßig untersucht, da
hat sich noch nie etwas gelöst.«
Ich ließ
ihn in seinem Glauben, dass ich mich für den Dom interessierte. Meine Motivation
für den Umweg war ausschließlich darin begründet, nicht über den selbsternannten
Pilgerarzt Dr. Metzger zu stolpern.
Die frische
Luft tat meiner Vitalität gut, der ungewohnte Fußmarsch eher weniger. Zudem legte
Wolf ein flottes Tempo vor.
»Ich kann
es kaum erwarten, mein Notebook zu bekommen, Herr Palzki. Übrigens, wissen Sie,
was ich vorhin am Domplatz erlebt habe? Dieser Pilgerarzt, den Sie kennen, verkauft
dort seit heute streng veganische Pilgerfrikadellen aus ökumenischem Anbau. Welch
ein Wahnsinn!«
Ich blieb
abrupt stehen.
Schlagartig
war mir die Lust auf Frikadellen für die nächste Zeit vergangen. Veganische Fleischbrocken,
welcher Affront gegen die menschliche Würde! Nein, mit Hardcore-Vegetariern konnte
ich nichts anfangen. Meine Frau Stefanie lebte zwar ebenfalls fleischlos, aß aber
wenigstens Eier und Milchprodukte. Obwohl, einmal hatte ich unwissentlich selbst
für eine Verschärfung der häuslichen Esssituation gesorgt. Im Allgäu-Urlaub vor
ein paar Jahren hatte ich meine Familie, naiv wie ich manchmal bin, zum Besuch einer
Käserei überredet. Dumm war, dass der Führer ausführlich über die Zutat Lab referierte,
die unabdingbar für die Käseherstellung ist und aus Kälbermägen gewonnen wird. Das
war bei Stefanie zunächst das Todesurteil für Käse aller Art. Erst nach und nach
konnten wir in Erfahrung bringen, dass mancher Käse nicht mit tierischem, sondern
mit mikrobiellem, also im Labor erzeugtem Lab, hergestellt wird. Seit dieser Zeit
dauern unsere Familieneinkäufe bedeutend länger, da meine Frau die Zutatenlisten
studieren muss. Ich wandte mich wieder an Wolf: »Das kann bei Dr. Metzger eigentlich
nur eines bedeuten: Er klaut die Zutaten für seine Suizidburger in evangelischen
und katholischen Pfarrgärten.«
Auch der längste Fußmarsch geht
einmal zu Ende. Ich kam mir vor, wie auf einer anstrengenden Pilgeretappe. Vom Verlag
um den Dom herum bis zum Ordinariat waren es bestimmt 1.000 Meter.
Die Dame
am Empfang erkannte mich sofort. Ich hatte den Eindruck, als hätte sie auf mich
gewartet. Sie hob zwei bunte Kinderfähnchen hoch und begrüßte mich: »Guten Morgen,
das ist unser neues Kommunikationssystem. Wollen sie auch eins?«
Wolf blickte
verstört. Der Running Gag zwischen der Angestellten und mir schien ihn zu
überfordern.
»Später,
ich brauche dafür erst eine Schulung.«
»Unser Schulungsraum
wäre heute frei«, antwortete die schlagfertige Dame und lachte.
»Sie haben
einen Schulungsraum?« Ich wusste nicht, warum, aber irgendwie assoziierte mein Gehirn
ein unbestimmtes Gefühl. Ich wandte mich an Wolf.
»Den Schulungsraum
würde ich gerne sehen.«
Der Kanzleidirektor
wirkte in den letzten Minuten nachdenklich. Plötzlich schien er einen Einfall zu
haben. »Ja klar, das kann Frau Knebinger erledigen, während ich mein neues Notebook
bekomme.«
Ohne dem
Generalvikar über den Weg zu laufen, gelangten wir in sein Büro. Wolf rief Frau
Knebinger an, die wenige Minuten später zu uns kam.
»Das ist
ein sehr ungünstiger Zeitpunkt, Herr Wolf«, sagte sie nach der allgemeinen Begrüßung.
»Selbstverständlich führe ich Herrn Palzki gerne herum, aber ich erwarte einen wichtigen
Anruf, der etwas länger dauern kann.«
Wolf überlegte.
»Ich habe eine Idee. Sie zeigen Herrn Palzki unseren Schulungsraum. Wenn Sie dann
schon mal oben sind, kann er gleich unser nettes Tonstudio begutachten. Frau Moritz
ist heute Morgen mit der Vorbereitung eines Interviews mit dem Bischof beschäftigt.
Während Sie Ihr Telefonat
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