Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
sich erleichtert, und ich war mit Frau Moritz allein.
»Was wollen
Sie sehen, Herr Palzki?«
»Alles«,
antwortete ich, weil ich spontan keine bessere Idee hatte. »Wozu dient das Tonstudio?
Haben Sie einen kircheneigenen Radiosender?«
»Hier bei
uns nicht, wir haben keine Sendeanlage. Der Herr Bischof ist beispielsweise manchmal
bei mir im Studio, wenn er keine Zeit hat, um zu einem Radiosender zu fahren. Dann
werden die Interviews in diesem Raum eingespielt und zu den Sendern übertragen.«
Frau Moritz
zeigte mir die Funktionsweise der diversen Schaltmöglichkeiten. Ich verstand so
gut wie nichts. Gelangweilt blickte ich aus dem Fenster auf ein gegenüberliegendes
Dach. Trostlos, dachte ich, während ich mich wieder Frau Moritz zuwandte und Interesse
heuchelnd zu ihrem Vortrag nickte.
Das Pfeifen
und der Knall einer zerspringenden Scheibe kamen nicht aus den Lautsprechern. Das
mir bekannte Pfeifen verfehlte mein rechtes Ohrläppchen um Millimeter. Im Affekt
drehte ich mich um und sah das zersprungene Fensterglas. Trotz dieser Sichtbehinderung
erkannte ich außerdem, wie sich hinter dem etwa zehn Meter entfernten Dachflächenfenster
des Nachbardachs ein Schatten entfernte.
Frau Moritz
hatte bisher nur die zersprungene Fensterscheibe wahrgenommen.
»Was ist
denn hier passiert?«, fragte sie erstaunt und starrte erst das Fenster und dann
mich an. »Sie bluten ja am Ohr!«
Meine Müdigkeit
war wie weggeflogen. Ein Griff im Affekt an mein Ohr bescherte mir zwei blutige
Finger. Für Extremsituationen wie diese wurde jedem Polizeibeamten eingeprägt, dass
in der Ruhe die Kraft liegt. Blitzschnell sondierte ich die Lage. Da es sich bei
dem verschwundenen Schatten wohl um den Schützen gehandelt hatte, schien mir die
Gefahr eines weiteren Schusses gering. Schwerverletzte gab es keine, das Geschoss
würde man später im Schaumstoff finden. Die dringlichste Aufgabe war folglich die
Identifikation des Täters.
»Was ist
das für ein Haus da drüben?« Ich deutete mit meiner Hand in die Richtung, aus der
der Schuss gekommen war.
Frau Moritz
hatte immer noch keine Ahnung, was passiert war.
»Das ist
das Bischöfliche Bauamt und die Finanzkammer.«
In der Zwischenzeit
hatte ich das größtenteils glaslose Fenster geöffnet. Zwischen dem Ordinariat und
dem Bauamt befand sich die schmale Engelsgasse. Wäre dies jetzt ein James-Bond-Film,
würde ich einfach auf das gegenüberliegende Dach springen und den Täter überwältigen.
Da sich aber stets einige Krimileser darüber beklagten, dass manche Geschichten
nicht sehr glaubwürdig waren, kam solch ein Einsatz für mich nicht infrage.
»Wie komme
ich zum Bauamt?«
Frau Moritz
reichte mir statt einer Antwort ein Taschentuch und zeigte auf den Boden. »Sie versauen
mir mit dem Blut den ganzen Fußboden.«
Ich nahm
das Taschentuch und wiederholte meine Frage eine Spur energischer.
»Da müssen
Sie auf die Kleine Pfaffengasse. Der Eingang zum Bauamt ist auf der gegenüberliegenden
Seite, also müssen Sie zuerst zum Domplatz. Da kommen Sie aber nicht so einfach
rein, Sie brauchen eine Voranmeldung oder einen Schlüssel. Haben Sie gesehen, was
passiert ist? Ist uns ein Vogel an die Scheibe geflogen?«
»Nicht mal
ein schräger Vogel«, antwortete ich. »Rufen Sie die Polizei, die soll so schnell
wie möglich zum Bauamt kommen. Auf mich wurde gerade geschossen. Dann geben Sie
drüben Bescheid, dass ich komme, es ist Gefahr im Verzug. Alle Mitarbeiter sollen
in Deckung gehen.«
Bevor ich
mich auf den Weg machte, sagte ich abschließend: »Danach verlassen Sie bitte sofort
diesen Raum. Die Spurensicherung wird Ihnen dafür dankbar sein.«
Ich verließ
eine total verunsicherte Frau Moritz, die sich trotz der für sie verwirrenden Erlebnisse
der letzten Minute sofort das Telefon schnappte.
Der Weg
war lang, und ich hatte so gut wie keine Hoffnung, den Schützen zu finden. Warum
wurde überhaupt auf mich geschossen? War ich der Wahrheit so nahe, ohne es zu wissen?
Meine Grübelei nahm ein Ende, als ich im Flur des Erdgeschosses fast Frau Knebinger
überrannte. Sie schaute mich mit großen Augen an.
»Frau Knebinger,
aus dem Bischöflichen Bauamt heraus wurde auf mich geschossen. Gibt es Notfallpläne?«
Sie schüttelte
sprachlos den Kopf. »Auf Sie geschossen? Wo? Im Tonstudio?«
Ich hatte
keine Zeit für lange Erklärungen.
»Gehen Sie
hoch und beruhigen Sie Frau Moritz. Ich muss rüber zum Bauamt.«
Die Innenrevisorin
zog einen Schlüsselbund aus ihrer Tasche.
»Da
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