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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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dadurch sauberer und eleganter: Ich selbst sollte das Todesurteil an mir und meinen Gefährten vollstrecken, ohne ein einziges Wort von seiner Seite. Mehr noch: Ich sollte ihn zu ganz bestimmten Schritten zwingen – und das sozusagen wider sein besseres Wissen, gegen seinen Willen. Ich indessen schwieg. Schließlich waren also meine Unentschlossenheit, meine langweilige »Redlichkeit«, jene menschliche »Redlichkeit«, die er so grenzenlos verachtete, unsere Rettung und sein Verderben gewesen.

 
    Ananke
     
    Er wurde aus dem Schlaf gestoßen, in die Dunkelheit. Hinter ihm – wo? – blieben die rötlichen, rauchverhangenen Umrisse – einer Stadt, einer Feuersbrunst? – und der Gegner zurück, der Wettlauf, ein aufragender Fels, der – war es jener Mensch gewesen? Noch jagte er der schwingenden Erinnerung nach, aber schon resigniert und nur getröstet durch das aus solchen Augenblicken wohlbekannte Bewußtsein, daß einem die Wirklichkeit im Traum intensiver und unmittelbarer erscheint als im Wachen, der Worte entledigt, doch bei aller unberechenbaren Launenhaftigkeit von einem Gesetz regiert, das allein dort, im Alptraum, greifbar war. Er wußte nicht, wo er sich befand, er konnte sich auf nichts besinnen. Es hätte genügt, die Hand auszustrecken, um sich zu vergewissern, aber er ärgerte sich über die Trägheit des eigenen Verstandes und versuchte, ihn zu einer Erklärung zu zwingen. Es war Selbstbetrug in der Bewegungslosigkeit, trotzdem wollte er an der Beschaffenheit des Lagers erkennen, wo er war. Auf jeden Fall war es keine Koje. Ein Blitz. Die Landung, Funken in der Wüste, eine Scheibe wie ein falscher, großer Mond, Krater, aber von Staub verweht, Stöße eines schmutzig-rötlichen Sturmwinds, das Quadrat eines Kosmodroms, Türme. Der Mars.
    Er blieb liegen und überlegte nun schon ganz nüchtern, weshalb er erwacht war. Auf den eigenen Körper konnte er sich verlassen; der wäre nicht ohne Grund munter geworden. Allerdings war die Landung ziemlich kompliziert gewesen und er sehr müde nach zwei Wachen ohne eine Sekunde der Ruhe: Terman hatte sich den Arm gebrochen, als der Automat Schub gegeben hatte und er gegen die Wand geschleudert worden war. So ein Esel, beim Einsetzen der Schubkraft von der Decke zu fallen, und das nach elf Jahren Flugpraxis! Natürlich mußte er ihn im Revier besuchen. Also war es das? Nein.
    Er begann die Ereignisse des vergangenen Tages zu rekapitulieren, vom Augenblick der Landung an: Atmosphäre so gut wie keine, aber eine Windgeschwindigkeit von 260 km/h, es war fast unmöglich, bei dieser geringen Gravitation zu stehen. Keinerlei Reibung unter den Schuhsohlen, man mußte sich bis zu den Knöcheln in den Sand bohren. Und dazu dieser Staub, der mit eisigem Zischen den Raumanzug scheuerte, in jedes Fältchen eindrang, Sand, der weder richtig rot noch rostfarben war, gewöhnlicher, aber sehr feiner Sand. Zermahlen in Milliarden von Jahren. Es gab kein Kommandogebäude, denn auch ein normaler Hafen fehlte; das Marsprojekt war im zweiten Jahr seiner Existenz noch immer ein Provisorium; was sie gebaut hatten, war verschüttet worden – kein Hotel, keine Unterkunft, nichts. Sauerstoffgespeiste Kuppeln, jede so riesig wie zehn Hangare zusammen, unter glänzenden Schirmkonstruktionen aus Stahlseilen, die an Betonblöcken, unter dem Flugsand kaum zu erkennen, verankert waren. Baracken, Wellblech, Stapel von Kisten, Containern, Behältern, Riesenflaschen, Säcken, eine ganze Stadt aus Ladegut, das von den Bändern der Versorgungsschiffe gerollt war. Die einzige annehmbare, im Bau vollendete, ordentlich eingerichtete Lokalität war das Gebäude der Flugkontrolle hinter der »Glocke«, zwei Meilen vom Kosmodrom entfernt, wo er gerade lag, im Finstern, auf dem Bett des diensthabenden Kontrolleurs Seyn. Er richtete sich auf und tastete mit bloßem Fuß nach den Pantoffeln. Die nahm er immer mit, und er zog sich auch stets zum Schlafen aus, denn wenn er sich nicht richtig wusch und rasierte, fühlte er sich seinen Aufgaben nicht gewachsen. Er wußte nicht mehr, wie der Raum aussah, also stand er für alle Fälle vorsichtig auf; den Schädel konnte man sich einstoßen bei dieser Materialeinsparung (das ganze Projekt bestand nur aus Sparmaßnahmen; er war einigermaßen informiert). Dann ärgerte er sich schon wieder, weil er vergessen hatte, wo die Schalter angebracht waren. Wie eine blinde Ratte ... Er streckte die Hand aus und berührte statt eines Schalters einen kalten Riegel. Als

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