Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Unfall bot – als Tauglichkeitstest für die Mannschaft. Er war also ganz sicher, daß ich die Havarie, die sich so günstig anbot, ausnutzen würde. Hätte ich das getan, hätte ich mir mein eigenes Grab geschaufelt.
    Was war der Beweggrund für diesen Schritt? Menschenhaß? Vielleicht bereitete ihm dieses Spiel auch Vergnügen, ein Spiel, in dem ich, sein offizieller Vorgesetzter und geheimer Verbündeter, in Wirklichkeit genau das tun würde, was er von vornherein geplant hatte – auch für mich geplant? Er war jedenfalls sicher, daß ich versuchen würde, die Havarie zu nutzen, um die Besatzung »auf die Probe zu stellen«, selbst wenn ich den Verdacht hegte, daß Sabotage im Spiele war.
    Was konnte ich in diesen Augenblicken tun? Selbstverständlich konnte ich den Befehl zur Umkehr geben oder auch verlangen, der Pilot solle noch einmal versuchen, die letzte Reservesonde auf eine Umlaufbahn zu bringen. Der Befehl zur Rückkehr wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Verzicht, meine Leute unter schwierigen Bedingungen zu testen, und mit der Nichterfüllung der dem »Goliath« gestellten Aufgabe. Calder folgerte richtig, daß ich diesen Weg nicht wählen würde.
    Ich hätte auch befehlen können, zum Saturn zurückzukehren und die Operation mit der letzten noch verbliebenen Sonde in Angriff zu nehmen. Calder war hundertprozentig davon überzeugt, daß dies geschehen würde.
    Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, wie ich mich angesichts einer solchen Alternative verhalten würde, hätte ich ihm offen gestanden ohne Zögern geantwortet, ich würde Befehl erteilen, die weiteren Operationen vorzunehmen, und wäre dabei absolut aufrichtig gewesen. Es geschah jedoch etwas Unerwartetes: Ich schwieg. Warum? Das ist mir auch heute noch ein Rätsel. Ich begriff nicht ganz, was eigentlich los war, die Havarie war merkwürdig, sie kam so haargenau im rechten Augenblick, stimmte so haargenau mit meinen Gedanken überein – zu genau, als daß all dies mit rechten Dingen zugehen konnte. Ich spürte auch sofort, daß Calder mit ungewöhnlicher Bereitwilligkeit auf meine Worte wartete, auf meine Entscheidung – wahrscheinlich schwieg ich gerade deshalb. Hätte ich etwas gesagt, so wäre das gewissermaßen die Besiegelung eines heimlich geschlossenen Bundes gewesen – falls er den Ereignissen tatsächlich »nachgeholfen« hatte. Ich spürte, daß es mit dem, was hier seinen Lauf nahm, nicht einmal dann seine Richtigkeit hatte, wenn man es als ein abgekartetes Spiel betrachtete. Wenn ich wirklich so dachte, hätte ich den Befehl geben müssen, das Raumschiff vom Planeten fernzuhalten, doch das wagte ich auch wieder nicht: Der Verdacht, der in mir keimte, war nur verschwommen, mir fehlte die leiseste Spur eines Beweises. Kurz und gut – ich wußte einfach nicht, was ich tun sollte.
    Calder indessen wollte es offenbar nicht wahrhaben, daß sein großartiger Plan ins Wasser zu fallen drohte. Unser Zweikampf wurde innerhalb einer Minute ausgetragen; aber was war ich schon für ein Gegner – ich, der ich doch gar nicht begriff, was da eigentlich gespielt wurde. Erst später, in der Erinnerung, entdeckte ich bestimmte Zusammenhänge zwischen einzelnen, scheinbar harmlosen Vorkommnissen. Mir fiel ein, wie oft Calder mutterseelenallein vor dem Hauptkalkulator gehockt hatte, der zur Lösung schwieriger Raumfahrtprobleme diente, und wie sorgfältig er jedesmal, wenn er mit seinen Berechnungen fertig war, alle Gedächtnisspeicher des Kalkulators gelöscht hatte. Heute bin ich sicher, daß er bereits damals die verschiedenen Varianten der Havarie berechnete, daß er sich Zoll für Zoll darauf vorbereitete, daß er ein regelrechtes Modell der Katastrophe schuf. Es ist nicht wahr, daß er über den Ringen flog und blitzartige Berechnungen im Kopf anstellte, nur auf die Gravimeterwerte gestützt. Er brauchte überhaupt nichts mehr zu berechnen. Er hatte alle Berechnungen fertig, da er der Maschine die Tafeln mit den Näherungslösungen eingegeben hatte und nur noch zu überprüfen brauchte, ob die Gravimeterdaten im Bereich der entsprechenden Werte lagen.
    Ich hatte seinen todsicher scheinenden Plan torpediert, als ich mit der Befehlsverweigerung zögerte. Er wartete auf einen Befehl wie auf die Erlösung, denn ein solcher Befehl bildete die Grundlage seines Plans. In diesen Sekunden dachte ich weder daran, noch war es mir überhaupt irgendwie bewußt – aber im Steuerraum befand sich ja, gut versiegelt, das Ohr der Erde, das jedes

Weitere Kostenlose Bücher