Pilot Pirx
der Sauerstoffflasche. Der Druck war gefallen, und er mußte umkehren, denn er hatte keinen Ersatz mitgenommen. Ein Blick auf den Chronometer sagte ihm, daß er fast zwei Stunden bei dem Wrack verbracht hatte.
Im Beratungssaal hatte sich inzwischen einiges verändert: Die hiesigen Teilnehmer nahmen eine Seite des langen Tisches ein, und ihnen gegenüber hatten die Techniker sechs große, flache Fernsehschirme montiert. Da dennoch – wie üblich – etwas mit der Verbindung nicht klappte, waren die Beratungen auf ein Uhr vertagt worden. Haroun, ein Funktechniker, den Pirx flüchtig von der Großen Syrte kannte und der ihn aus unerfindlichen Gründen sehr schätzte, gab ihm die ersten vervielfältigten Abzüge der Bänder aus der sogenannten unsterblichen Kammer des »Ariel«, auf denen die Entscheidungen des Kraftreglers festgehalten waren. Da Haroun nicht das Recht hatte, solche Dokumente inoffiziell aus der Hand zu geben, erkannte Pirx diese Geste besonders an. Er schloß sich in seinem Zimmer ein und begann im Licht der starken Lampe die noch feuchten Plastbänder zu sichten. Das Bild war ebenso scharf wie unverständlich. In der 217. Sekunde des Landemanövers, das bis dahin tadellos sauber verlaufen war, erschienen in den Kontrollschaltkreisen Störströme, die sich in den darauffolgenden Sekunden in einem Rauschen bemerkbar machten. Die nach dem Übergang auf Parallelbelastung doppelt stillgelegten Reserveteile des Gatters waren in gesteigerte Aktion getreten, und danach war das Arbeitstempo der »Wächter« auf das Dreifache der Norm angestiegen. Was er in der Hand hielt, war nicht die Aufzeichnung der Arbeit des Computers selbst, sondern der seines »Rückenmarks«, das unter der Regie des übergeordneten Automaten die erhaltenen Befehle mit dem Zustand der Antriebsaggregate abstimmte. Dieses System wurde bisweilen »Kleinhirn« genannt, weil es ähnlich dem menschlichen Kleinhirn, als Kontrollstation zwischen Rinde und Körper, die Korrelation der Bewegungen regelte. Mit gespannter Aufmerksamkeit untersuchte er die Aufzeichnungen der vom »Kleinhirn« geleisteten Arbeit. Es sah so aus, als hätte es der Computer eilig gehabt, als hätte er – ohne den Vorgang im geringsten zu stören – pro Zeiteinheit immer mehr Daten über die Untergruppen angefordert. Das hatte zu einem Informationsstau und zum Auftreten der Stör- oder Echoströme geführt; bei einem Tier hätte das zu einem übermäßig gesteigerten Tonus geführt beziehungsweise zu einer Störung im motorischen System, der sogenannten Spasmophilie. Er begriff nichts von alledem. Freilich hatte er nicht die wichtigsten Bänder, die die Entscheidungen des Computers enthielten, in den Händen; Haroun hatte ihm nur das gegeben, was ihm selbst zur Verfügung stand. Es klopfte an der Tür. Pirx versteckte die Bänder in seinem Necessaire und ging öffnen. Vor ihm stand Romani.
»Auch die neuen Chefs wünschen, daß Sie in der Kommission mitarbeiten«, sagte er. Er war nicht mehr so erschöpft wie am Vortag, sah schon ganz gut aus, wohl unter dem Einfluß der Antagonismen, die in der auf so seltsame Weise organisierten Kommission zutage getreten waren. Pirx hielt es für ein Gebot der Logik, daß sich selbst die untereinander verfeindeten »Marsmenschen« vom Agathodaemon und von der Syrte verbündeten, sobald die »neuen Chefs« ihnen eine eigene Konzeption aufdrängen wollten.
Die neugebildete Kommission bestand aus elf Personen. Vorsitzender war weiterhin Hoyster, aber nur deshalb, weil niemand auf der Erde diesem Amt gewachsen war; die Teilnehmer waren achtzig Millionen Kilometer voneinander getrennt, und die Beratung konnte sonst nicht richtig ablaufen. Wenn man sich zu einer so riskanten Lösung durchgerungen hatte, dann sicherlich nur unter dem starken Druck, der auf der Erde schon herrschen mußte. Die Katastrophe hatte die widersprüchlichsten – auch politischen – Meinungen aktiviert, in deren Brennpunkt das ganze Projekt schon seit langem arbeitete.
Zuerst wurden nur die bisherigen Untersuchungsergebnisse rekapituliert – für die Leute auf der Erde. Von ihnen kannte Pirx nur den Generaldirektor der Werft, einen gewissen van der Voyt. Bei aller getreuen Wiedergabe schien ihm das Farbfernsehbild monumentale Züge zu verleihen; es zeigte die Büste eines sehr großen Mannes mit schlaffem und zugleich straffem Gesicht voll herrischer Energie, umschwebt von Zigarrenrauch aus unsichtbarer Quelle, denn van der Voyts Hände waren verdeckt. Was
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