Pilot Pirx
hatte ihn erwartet, aber die Ausmaße der Hysterie überraschten ihn dann doch. In den Spitzenmeldungen dominierten drei Themen: der Verdacht auf Sabotage, die Ungewißheit des Geschicks der noch auf Marskurs befindlichen Raumschiffe und natürlich die politischen Konsequenzen der ganzen Angelegenheit. Die großen Tageszeitungen hielten sich beim Thema Sabotage sehr zurück, die Boulevardpresse war gerade hier in ihrem Element. Es wurde auch reichlich Kritik an den Hunderttausendern geübt: Sie seien nicht genügend erprobt, sie könnten bekanntlich nicht von der Erde starten und, was noch schlimmer sei, nicht zurückdirigiert werden, denn sie hätten ja nicht genügend Brennstoffreserven an Bord, und schließlich sei es nicht möglich, sie auf den Orbitalstationen des Mars zu entladen. Das stimmte; sie mußten auf dem Mars landen, aber vor drei Jahren war ein Testprototyp, wenn auch mit einem anderen Computermodell, mehrmals erfolgreich auf dem Mars gelandet. Die Experten daheim schienen davon keine Ahnung zu haben. Es war auch eine Kampagne gestartet worden, die darauf zielte, die politischen Verfechter des Marsprojekts mundtot zu machen; man nannte es rundheraus Wahnsinn. Irgendwo mußten auch schon komplette Listen sämtlicher Fehlleistungen in bezug auf die Sicherung der Arbeiten an den Stützpunkten vorliegen, in bezug auf die Bestätigung der Projekte und auf die Erprobung der Prototypen. An den Hauptakteuren der Marsverwaltung wurde kein gutes Haar gelassen – es war ein einziger Kassandraruf.
Als er um sechs das Chefbüro betrat, stellte es sich heraus, daß gar keine Kommission mehr existierte, denn die Erde hatte es inzwischen geschafft, dieses illegale Gremium aufzulösen. Sie konnten sich drehen und wenden, wie sie wollten, aber erst nach Herstellung des Kontakts mit der Gruppe von der Erde hatte alles offiziell und legal von vorn zu beginnen. Das demissionierte Gremium befand sich aber offensichtlich in einer günstigeren Lage als am Tag zuvor, denn da es nun über nichts mehr zu entscheiden hatte, konnte es um so ungehemmter Forderungen und Anträge an die höhere, das heißt irdische Instanz stellen. In der Großen Syrte war die Materialsituation ziemlich kompliziert, wenn auch nicht kritisch, für den Stützpunkt Agathodaemon dagegen bedeutete ein Ausfall der Versorgung spätestens in einem Monat das Ende. Von einer effektiven Unterstützung durch die Syrte konnte keine Rede sein. Es fehlte nicht nur an Baumaterial, sondern sogar an Wasser.
Die Lage erforderte ein Regime strengster Sparsamkeit auf Dauer. Pirx hörte nur mit halbem Ohr hin, denn inzwischen war der Registrierapparat aus der Steuerkabine des »Ariel« eingetroffen. Die sterblichen Überreste der Besatzung waren bereits geborgen; ob man sie auf dem Mars bestatten würde, war noch nicht entschieden. Die Aufzeichnungen konnten nicht gleich überprüft werden, dazu waren einige Vorbereitungen nötig; deshalb wurden Dinge besprochen, die nicht unmittelbar mit den Ursachen und dem Verlauf der Katastrophe zusammenhingen: Konnte man durch die Mobilisierung möglichst vieler kleinerer Raumschiffe den drohenden Untergang des Projekts abwenden, konnte man auf diese Weise in möglichst kurzer Zeit die für ein Existenzminimum erforderliche Versorgung sichern? Pirx erkannte die Berechtigung solcher Überlegungen an, mußte aber zugleich an die beiden Hunderttausender denken, die auf Marskurs waren und die hier überhaupt nicht erwähnt wurden, als stünde von vornherein fest, daß von einer Fortsetzung ihres Fluges keine Rede sein konnte. Aber was sollte mit ihnen geschehen, da sie ja landen mußten? Alle Anwesenden waren bereits über die Reaktion der amerikanischen Presse informiert, und laufend trafen Funksprüche mit den kurzgefaßten Reden der Politiker ein – es sah nicht gut aus: Noch kein Vertreter des Projekts hatte eine Erklärung abgeben können, und schon befand es sich im Kreuzfeuer konzentrierter Beschuldigungen, schon wurde von »Nachlässigkeit«, »verbrecherischem Leichtsinn« und ähnlichen Dingen gesprochen. Pirx, der sich von diesen voreiligen Schlüssen distanzierte, wollte mit alledem nichts zu tun haben, also verdrückte er sich gegen zehn aus dem rauchgeschwängerten Saal, und die freundlichen Service-Mechaniker des Kosmodroms ermöglichten es ihm, sich mit einem kleinen Geländewagen zum Ort der Katastrophe zu begeben.
Für den Mars war der Tag ziemlich warm und fast heiter. Der Himmel hatte eine lichte, weniger
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