Pink Christmas 2 (German Edition)
Oasis. Es ist drei Minuten vor zehn.
Daniel kippt den Rest aus seiner ungefähr dritten Tasse Glühwein und knüllt eine fleckige Papierserviette zu einem winzigen Ball.
„Ach, Mensch.“ Vorsichtig berührt Lilli Daniels Schulter. „Immer noch so schlimm?“
„Nicht schlimm. Nur … immer noch. Mann. Musiker sind Mist. Wenn es mal vorbei ist, kann man die Hälfte aller Lieder nicht mehr hören.“
„Er ist in der Stadt. Wusstest du das?“
„Ich hatte es gehofft. Wider besseres Wissen.“
„Er ist auf Patricks Party eingeladen. Jo und ich wollen später vielleicht noch dort vorbei schauen. Ich weiß allerdings nicht, ob er dort auch wirklich auftaucht. Manche Bandmitglieder sind nicht so gut auf ihn zu sprechen.“
„Ich weiß. Ich habe vorhin Katie getroffen.“
Er spürt Lillis Blick, ohne hinzusehen.
„Du wirst es nicht lassen, wenn ich dir sage, dass du es lassen sollst“, stellt sie fest.
„Nein. Ich fürchte nicht.“
„Lass es.“
„Ich will ja gar nicht … ich will doch … nur mal gucken. Hallo sagen. Ich meine, immerhin waren wir mehr als ein Jahr zusammen.“
„Na ja. Ihr wart zwanzigmal zusammen und wieder auseinander, und das Drama hat mehr als ein Jahr gedauert.“
„Du übertreibst.“
„Aber nicht viel. Lass es, Daniel. Er macht dich unglücklich, hast du das nicht gelernt?“
„Doch.“ Er dreht den Kopf zu ihr und sieht sie an.
„Mit ihm unglücklich zu sein … hat eine ganz eigene Qualität. Ich denke manchmal, ich bin lieber mit ihm unglücklich, als ohne ihn glücklich.“
„Verliebter Trottel.“
„Ja.“
Es ist ganz leicht, es zuzugeben. Es ist schließlich die Wahrheit.
„Dann geh“, sagt Lilli. „Wenn du mich morgen nicht anrufst, ziehe ich den Grundkurs Chirurgie ein paar Semester vor und mache ein Mädchen aus dir.“
„Das ist nur fair.“
Minuten später sitzt er auf dem Fahrrad und strampelt durch die dunkle Stadt, mit Füßen wie Eisklumpen und einem goldenen Flirren irgendwo in der Herzgegend.
Die dritte Weihnachtsfeier ist vor allem laut. Patrick öffnet die Tür, und an ihm vorbei brandet ein Mix aus dröhnenden Bässen, Gesprächsfetzen und schrillem Mädchengelächter, das verrät, dass hier nicht mit Kinderpunsch gefeiert wird.
„Daniel“, sagt er erstaunt. „Mann, dich habe ich ja ewig nicht gesehen.“
Daniel beschließt, die Sache abzukürzen. Drei Weihnachtsfeiern, bevor der Familienteil des Festes überhaupt angefangen hat, und das ihm, dem erklärten Weihnachts-Skeptiker!
„Ich bin wegen Mick hier“, sagt er ohne Umschweife. „Entschuldige, Patrick. Ich weiß, ich bin nicht eingeladen. Könntest du mich trotzdem reinlassen? Wenn er hier ist, meine ich.“
„Klar“, sagt Patrick und hält Daniel die Tür auf. „Er ist hier. Hab ihn allerdings eine Weile nicht gesehen. Er ist hoffentlich nicht schon wieder weg.“
Das goldene Flirren wandelt sich in ein Feuerwerk. Lauter kleine goldene Explosionen, die ihm den Atem rauben. Er ist nicht nur ein Schemen, der Daniels Atem stoppen lässt, wenn irgendwo auf der Straße jemand dunkle Locken hat. Er ist sogar mehr als eine Erinnerung, über die er mit Lilli sprechen kann. Er ist Fleisch und Blut, Atem und Lippen und lange geschwungene Wimpern und Grübchen am Kinn und Narben auf den Innenseiten der Arme, lange Beine in zerrissenen Jeans und bockige Protesthaltung, er ist das beste Weihnachtsgeschenk, das Daniel sich wünschen kann, und wenn drei Weihnachtsfeiern nötig sind, um es zu bekommen, dann wird Daniel die Ärmel hochkrempeln und sich zu ihm durchfeiern.
Er ist irgendwo hier. Daniel muss ihn nur finden.
Daniel schwimmt durch diese Stille Nacht wie ein Taucher, der dringend zur Wasseroberfläche muss. Bekannte Gesichter aus Schulzeiten tauchen um ihn herum auf. Er lächelt automatisch und grüßt, aber er nimmt sich nicht mal die Zeit, um den Gesichtern Namen zuzuordnen. Seine Geduld ist aufgebraucht. Jede Sekunde ist kostbar.
Daniel sieht sich im Wohnzimmer um. Patricks Eltern haben schon den Baum aufgestellt, es ist ein weißes Plastikteil, das aussieht wie ein zugeklappter Regenschirm. Behängt ist er mit Federboas und rot-weiß geringelten Zuckerstöckchen, und Daniel muss grinsen, denn dieser Baum würde in jedes schwule Großstadtpärchen-Loft hervorragend hineinpassen.
Trotzdem gibt es hier keinen ausgeflippten Kleinstadt-Schwulen, der sich als Geschenk für Daniel bereit hält. Daniels Hals wird eng. Muss es Silvester werden, ehe er ihn zu fassen
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