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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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aus – was hatte ich schon zu verlieren? Als sich die Tür hinter mir
schloss, bekam ich trotzdem Angst. Ich hatte nicht mehr dabei als eine
wildlederne Umhängetasche und eine welkende Sonnenblume, die in der brütenden
Wüstenhitze schon die Hälfte ihrer Blütenblätter verloren hatte. Kaum [323]  berührten
meine Schuhe den Asphalt, da setzte der Bus auch schon in einer beigefarbenen
Sandwolke seine Fahrt fort.
    Meilenweit um mich herum sah ich nichts außer den Rauchfahnen, die
aus den unförmigen Gebäuden am Horizont aufstiegen. Ich war weder traurig noch
bewegt, auch nicht neugierig oder einsam. Ich spürte gar nichts, und deshalb
wandte ich mich von der Straße ab, auf der Lily gestorben war, und ging die
etwa zweihundert Meter bis zu den geschlossenen Türen des Eagle-Motorcycles-Gebäudes.
Ich stand genau da, wo sie auf dem Foto gestanden hatte. Das Schild lag zu
meinen Füßen, während es damals über Lilys Kopf gehangen hatte, und zu meiner
Linken, wo ihr Motorrad gestanden hatte, war nichts. Die Luft war so heiß, dass
das Schlucken schwerfiel, obwohl es schon Nachmittag wurde, als ich mich auf
die Zehenspitzen stellte, um einen Blick durch die Fenster zu werfen.
    »Hallo?«, rief ich. Innen, hinter den Flügeln der Vordertür, klemmte
etwas, ein Metallstück, das vom Dach oder von der Wand gefallen sein mochte, so
dass sich die Tür nicht öffnen ließ.
    »Hallo?«, wiederholte ich, lauter. »Ist
da jemand?«
    Alles schien verlassen, und mir wurde unwohl bei dem Gedanken daran,
wie um alles in der Welt ich nach Los Angeles zurückkommen sollte. Vielleicht
konnte ich zu Fuß zu dem Laden mit den billigen Tacos gehen und ein Taxi rufen.
Ich versuchte es noch einmal an der Tür, die sich schließlich knarzend ein
Stück öffnete, und ich quetschte mich durch den Spalt. Als draußen [324]  vor der
Motorradwerkstatt etwas klapperte, zuckte ich zusammen. Ein räudiges Kätzchen
jagte eine Coladose über den stoppligen Boden. Es folgte der Dose, bis es
wieder außer Sicht war, und ich hielt den Atem an.
    Eine heruntergeklappte Rampe hatte die Vordertür verrammelt. Von der
Decke hing ein halbes Motorrad, und ein anderes lag in Einzelteilen in einer
Ecke. Die Bikes sahen dem auf Lilys Foto ähnlich, doch sie waren so
staubbedeckt und rostig, als hätte sie schon lange niemand mehr angefasst.
Nichts daran ähnelte den sperrigen kraftstrotzenden Maschinen, die ich in den
anderen Werkstätten gesehen hatte. Diese hier waren schnittig und doch
schlicht. Durch die etwas kleineren Hinterräder wirkten sie wie gähnende Tiere,
die einen Buckel machten. Mir fiel der Kojote ein, dem David und ich vor seiner
Wohnung begegnet waren. »Wie sieht deine Hitliste aus?«, hatte David gesagt und
auf seine Frage: »Orgasmen, Eiskrem oder Gähnen? Was meinst du?«, nie eine
Antwort bekommen.
    Die Bikes umgab ein wahres Schlachtfeld von Teilen. Da lagen dicke
schwarze Reifen, Lenker, Zahnradkränze, glänzten schmierige Ketten und
Außenspiegel, wo die Sonne sich durch die verstaubten Fenster zwängte. Die
Sitze und Schutzbleche sahen aus, als wären sie aus Onyx. Ich fuhr zusammen,
als ich auf einem Bücherregal einen Adler sah, doch er war tot. Es war ein
ausgestopfter Adler, so wie die ausgestopfte Katze über der Tür von Augusts
Bar. Das Rückgrat des Vogels war genauso gewölbt wie die Motorräder. Den Kopf
hatte er erhoben, der Schnabel war so spitz zulaufend wie eine [325]  Messerklinge.
Ich sah Flaschen mit dickflüssig und chemisch klingenden Bezeichnungen wie
Autoglym und Mamatec. Ich fragte mich, wer sich solche Namen ausdachte,
irgendein ehemals vielversprechender Dichter, der in der Markenentwicklung von
Reinigungschemikalien hängengeblieben war? In zwei Ecken des Raumes standen
riesige Industrielüfter. Eine dicke Staubschicht bedeckte jedes einzelne
Ventilatorblatt. An einer mit Kork beklebten Wand hingen ein paar
Schraubenschlüssel, Zangen und Schraubenzieher. An einer anderen Wand waren
Holzbretter angebracht, auf denen Bücher herumlagen. Kein Vergleich zu dem
ordentlichen kleinen Heer alphabetisch geordneter Bücher in Davids Apartment,
sondern willkürlich gestapelte Haufen, die Buchdeckel aufgespreizt, zerknitterte
Seiten an beliebigen Stellen aufgeschlagen. Hier und da wurden die Bücherstapel
von irgendwelchem Plunder unterbrochen – einem metallenen Löwenkopf, einem
kleinen Totempfahl aus Holz, einer Souvenir-Venus. Mir fielen einige
Hochglanzcover auf wie bei dem Enkidu-Roman, den ich neben

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